Original

28. März 1925

Ein Dach überm Kopf.

So sagt man und denkt dabei an Sturm und Regen und an Schlossen, die auf das Dach prasseln und auf sicheres Geborgensein.

Aber das Dach kann auch ein Schönheitswert sein. Wer sich ein Haus baut und sich um dessen Aussehen sorgt, legt großen Wert auf die Form des Dache. Hat der Bauherr eine Frau mit ästhetischem Sinn, so wird es zumal diese sein, die sich um das Dach kümmert. Und zwar aus demselben Instinkt heraus dem sie bei der Auswahl eines Hutes gehorcht. Sie weiß, eine Frau mag noch so raffiniert angezogen sein, ein unpassender Hut kann die ganze Linie, den ganzen Ausklang verschandeln. Der Hut ist die sichtbare Auswirkung dessen, was in einem Frauenkopf vorgeht. Darum ist es so schwer, den richtigen Hut für eine Frau zu wählen, die man nicht kennt - noch mehr, die richtige Wahl zu treffen für die Zeit, die Stimmung, die Laune, in der eine bestimmte Frau grade aufgefaßt sein will.

Beim Dach kompliziert sich die Sache dadurch, daß ein Dach keine Saison-Angelegenheit ist, wie ein Hut. Es muß durch eine Reihe von Menschenaltern hindurch wirken und vorhalten. Und doch mag es füglich mit dem Hut verglichen werden. Es gibt ja auch Männer, die ihr Leben lang auf eine bestimmte Hutform eingeschworen sind und einen Teil ihres Wesens mit dieser Form aufgäben. Oder können Sie sich Aristide Bruant mit einer Angströhre vorstellen?

Am unmittelbarsten mit Hutcharakter wirkt das alte öslinger Strohdach, wie es Guido Oppenheim malt und Kaemmerer photographiert, das warme angeblich feuergefährliche Dach unserer Urgroßväter auf dem das Moos wie Samtband und Fetthenne wie Sträußchen am Hut wirken. Es ist der alte Filz, den der Schäfer, der Landstreicher, der Lohschleißer, der Tagelöhner tief über die Ohren ziehen, wenn der Wind bläst und Schnee und Hagel und Regen über die Höhen fegt.

Es gibt die schlichten, weitläufigen Schieferdächer, die in der Sonne glänzen, wie vor Jahren die blauen Sonntagskittel, es gibt die modischen Dächer, die die Architekten deutscher Observanz den Häusern wie Glockenhüte über den Kopf ziehen, es gibt die scheußlichen Mansardendächer der Bauernhauser, die am aufdringlichsten in unsern Moseldörfern von der Zeit her grassieren, wo die Winzer ein paar Jahre lang viel Geld einnahmen und einander mit dieser Imitation vornehmer Stadthäuser Paroli boten.

Das sind alles Schieferdächer. Wir sind ein Land der Schieferdächer. Ziegel dünken uns höchstens gut für Scheunen und Ställe, sie sind gegen den Schiefer, wie schlichte Wolle gegen Atlasseide. Das Ziegeldach als Teil einer besseren oder gar einer Luxuswohnung ist unserm Empfinden noch nicht eingegangen. Wir empfinden den Begriff Wohnhaus noch immer in der falschen Richtung, in der Entwicklung vom Palast herunter statt vom Bauernhaus hinauf. Unsere Stadthäuser haben samt und sonders Palastprätentionen, die einen mehr, die andern weniger, und wi eigentlich, wie brave Bürger, die mit Krone und Szepter und Hermelin zu Biere gingen. Seit einiger Zeit beginnt sich aber auch die andere Richtung durchzusetzen, die das Wohnhaus von heute aus dem bäuerlichen Typ heraus und hinauf entwickeln will. Und diese Häuser vertragen, fordern sogar manchmal als Abschluß das Ziegeldach. Wer auf Reisen geht, sieht draußen überall Villensiedlungen, deren rote Dächer freudig im Grünen leuchten und sich in Fluß und See spiegeln. Neben ihnen wirkt das Schieferdach wie Nützlichkeitsprinzip neben Pastoralsymphonie.

Hierzuland sind Ziegeldächer auf Wohnhäusern noch eine Seltenheit; derart, daß man das neue Haus des Herrn Dr. Pauly in Bartringen als Sehenswürdigkeit wegen seines roten Daches kann nennen hören Und doch wirkt in grüner Landschaft nichts so einladend, so unmittelbar wohnlich, so „zuhauserich“ wie rote Dächer. Darum war es eine reizende Belebung der ganzen Umgegend, als kürzlich die roten Dächer der „billigen Häuser“, die die Stadtverwaltung in Cessingen errichtet, über den Bahndamm emporwuchsen. Sie stehen da und winken: Kommt, seht Euch die neuen Heimstätten an!

Wirklich, Sie müssen jetzt einmal an einem freundlichen Vorfrühlingsnachmittag hinausgehen, sich locken lassen von der Poesie der roten Dächer und sehen, wie eine neue kleine Heimat aus dem Boden wächst, in Stein, in Tuffziegeln und auch in Holz, denn drei Holzvillen stehen schon fix und fertig und wecken in jedem Beschauer den Wunsch, eine davon irgendwo am Waldesrand und Flußufer sein eigen zu nennen.

Heimat wem? Hier werden übers Jahr Kinder spielen, - vielleicht spielt unter ihnen ein Beck oder Aldringer, ein Staatsminister oder Napoleon der Zukunft, der von den Höhen des Lebens dereinst gerührt auf die roten Dächer bei Cessingen als die Märchendächer seiner Heimat herunterblicken wird.

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