Original

25. September 1925

Dichtigkeit und Tempo haben im Verkehr derart zugenommen, daß sich die Obrigkeit hineiniegen mußte. Sogar hier in Luxemburg sehen wir wieder am Übergang des Königsrings in den Kopf der Adolfbrücke einen alteren Polizeimann stehen, der nicht grade aussieht, als ob er genau wüßte, was seines Amtes ist. Wie sollen es da die andern wissen!

Seibstregelung des Verkehrs ist schwerlich zu erwarten, denn seine einzelnen Atome sind vernunstbegabte Menschen, die nicht blindlings einem Naturgesetz folgen, sondern ihre Dummheiten auf eigene Faust und Rechnung machen wollen. Wassermassen suchen sich Rinne und Bett nach dem Gesetz der Schwere, im Verkehrsstrom der Großstadt ist jedes Wellchen ein Chauffeur mit eigenen. Willen und Antrieb.

Darum mußte die Behörde eingreifen.

Im dickslüssigen Verkehr der Großstadt war eine Materie gegeben, die sich relativ leicht bearbeiten ließ, weil sie den Biß hielt, weil der Ordnungsapparat griff. Ein Pariser Polizist, der mit seiner Keule an einer Straßenkreuzung Damm spielt, macht sofort den Eindruck einer notwendigen und zweckmäßigen Einrichtung.

Wird diese in Städten mit weniger gestautem Verkehrshochwasser nachgeahmt, so wirkt sie überflüssig und prätentiös. Bitte, ich rede nicht von der Hauptstadt meines Landes, sondern zum Beispiel von Genf. Dort sieht man an Straßenkrezungen mit kaum stärkerem Verkehr, als an unferm Großstraße-Gleisdreieck, Polizisten stehen, die über der Menge ihre weißen Keulen schwingen, wie Dirigentenstäbe. Wichtigtuend zeigen sie einem Automobil, das rechts abbiegen will, den Weg grade aus und das Auto biegt rechts ab, ohne sich um die weiße Keule zu kümmern, und der Polizist läßt es ruhig fahren und zeigt in der nächsten Sekunde einem andern Auto, das grade aus fährt. den Weg um die linke Ecke, und es gelingt ihm tretz allem nicht, das Phanomen zu erzeugen, für das die Pariser den malerischen Ausdruck «embouteilluge» gefunden haben. Man hat das Empfinden, daß der Apparat nicht greift, weil die Materie zu dünnflüssig ist. Der Dirigent steht vor einem lückenhaft besetzten Orchester. Aber auf den ersten Blick ist es ein Großstadt-Ingrediens.

Die Genfer tun überhaupt viel für Verkehrsregelung. Man kann dort u. a. auch die Straßenschilder bewundern, auf denen zu lesen steht: Sens unique. Sie hängen am Eingang einer Straße und bedeuten, daß Du in die Straße hineinfahren darfst, aber nicht anders herum wieder heraus. Es passierte uns auf diese Weise, daß wir ahnungslos durch eine Straße hindurchfuhren und an deren Ende aus dem Schild ersahen, daß das verboten war, daß die Straße nur in umgelehrter Richtung befahren werden durste. Eigentlich müßten also die unzähligen Fremden, die nach Genf kommen, vorher auswendig lernen, in welcher Richtung sämtliche Genfer Straßen befahren werden dürfen.

Wir meinten, es sei viel einfacher gewesen, an dem Straßenende, wo man nicht hineinfahren darf, anzu sihreiben: Passage interdit! Aber das war wohl zu einfach. In einem alten Pariser Lustspiel sagt ein Polizist auf die Frage eines Passanten, was er eigentlich zu tun habe: J’organise les encombrements de voiturel Dieser Polizist hat offenbar Geistesverwandte im Genfer Verkehrsordnungsamt.

Ich wollte nur sagen: Man soll sich nicht rasieren lassen, bis einem ein Bart wächst.

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