Original

3. August 1922

Gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo.

Ein täglicher Tropfen höhlt den Stein.

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier als dieser Tropfen auftrete, um einen Stein zu höhlen, dessen Höhlung fürwahr nicht appetitlich ist. Wofür ich zum Glück nichts kann.

Es handelt sich nämlich wieder um die sogenannte Bedürfnisanstalt gegenüber dem Tor der Mädchennormalschule.

Sie ist noch immer in Betrieb. Immer noch strömt dort die stinkende Quelle des Ärgernisses.

Nicht genug, daß in jenem ungesunden, räumlich und hygienisch und technisch ungenügenden Bau, den sie Normalschule nennen, systematisch von staatswegen die Gesundheit der künftigen Lehrerinnen und Erzieherinnen unserer Kinder zugrunde gerichtet wird, die Stadt will zu dem Skandal auch ein Scherflein beitragen und unterhält vor und unter den Fenstern der Schule eine jener Anstalten, die ein anständiger Mensch nicht verläßt, ohne die Kleider geordnet zu haben.

Leider lassen zahlreiche Benutzer den Anstand sowohl vor- wie nachher vermissen.

Man hätte gedacht, in einem geordneten Gemeinwesen würde ein verschämter Fingerzeig auf ein derartiges Pudibundum genügen, ihm ein Ende zu bereiten. Weit gefehlt, der Skandal stinkt ungestört weiter in den Tag.

Darum muß immer wieder in regelmäßigen Zeitabständen dagegen Front gemacht werden, grade wie gegen den Quäkersonntag des Herrn Neyens.

Die Zeitungen müssen eine stehende Rubrik für dies W. C. einrichten, bei allen künftigen Wahlen muß seine Beseitigung einen der Hauptpunkte der Wahlprogramme bilden, die Fremdenführer müssen es ironisch als eine der größten Sehenswürdigkeiten der Haupt- und Residenzstadt anpreisen, es muß aus einem lokalen, spezisisch stadtluxemburgischen Ärgernis zu einem europäischen werden.

Dann wird sich vielleicht der Vorsteher des zuständigen Amtes - ob Hoch- oder Tiefbau ist mir nicht bekannt - dazu entschließen, diesen Schandfleck aus unserm Straßenbild auszumerzen, trotzdem er dann dastehen wird als einer, der einmal getan hat, was die Zeitung verlangte. Ich weiß, daß sich die Behörden lieber alles andre sagen lassen, als daß ihnen eine Zeitung etwas aufgedrängt hätte, aber ich bitte die betreffende Stelle, diesmal eine Ausnahme zu machen, die Sache ist des Schweißes der Edeln wert.

Nur wird die Beseitigung der Blechwand und der Wasserspülung nicht genügen, die Ecke muß zugebaut werden, damit der offizielle Skandal nicht als inoffizieller sich verewige.

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KatalognummerBW-AK-010-2215