Original

8. Dezember 1922

Folgendes Gespräch entspann sich kürzlich zwischen einer befreundeten Dame und mir:

Sie: Haben Sie „Fetzen“ von Weicker gelesen?

Ich: O ja, zweimal.

Sie: Besitzen Sie das Buch?

Ich: Selbstverständlich.

Sie: Wollen Sie es mir nicht auf ein paar Tage leihen?

Ich: Nein!

Sie: Ich versichere Ihnen, daß ich gelesene Bücher immer zurückgebe.

Ich: Dann erst recht nicht.

Sie (ein ganz klein wenig verschnupft): Oh, warum@ denn nicht?

Ich: Das will ich Ihnen sagen. Ich leihe überhaupt keine Bücher mehr weg. Früher, wenn ich mir ein schönes Buch gekauft und es verschlungen hatte, lag mir nichts so sehr am Herzen, wie daß ich das Sie all meinen Freunden aufdrängte und nicht Ruhe gab bis sie es alle gelesen hatten. Vom Proselytismus der Jugend beseelt wollte ich alle Welt für die Schönheiten begeistern, an denen ich mich entflammt habe. Viele gaben mir meine Bücher wieder, ohne sie geöffnet zu haben. Andere hatten sie gelesen oder taten, als ob sie sie gelesen hätten aber es war ihnen davon nichts geblieben. Die liebsten waren mir die, die mir die Bücher nicht wiedergaben, weil sie @ davon nicht trennen konnten.

Sie: Gut, so verspreche ich Ihnen schon heute, daß ich Ihnen die „Fetzen“ nicht wiedergeben werde.

Ich: Sie vergessen, daß ich nicht mehr so jung bin wie damals. Heute verleihe ich überhaupt keine Bücher mehr. Entweder ein Buch ist schlecht - darum können Sie nicht von mir verlangen, daran schuldig zu werden, daß Sie es lesen. Oder es ist habe.

Sie: Ach, Bücher sind heute so teuer!

Ich: Und erst Hüte, und Schuhe, und Mäntel! @ Ihren Pelzkragen da hätten Sie mindestens @ hundert gute Bücher kaufen können.

Sie: Ich kann doch aber den Büchern zulieb @ nacht herumlaufen.

Ich: Und würden sich ruhig in die Lage verse@ geistig und seelisch nackt zu gehen.

Sie: Nein doch! Darum leihe ich mir bei g@ Freunden die Bücher, die ich nicht kaufen kann.

Ich: Sie reden im Kreis und wollen sich @ fassen lassen. Angenommen, eine Freundin. I@ beste Freundin, kommt an einem Regentage und s@ Du, leih mir Deinen Schirm, es regnet so arg. @ mag mir keinen Schirm kaufen, aber ich kann @ doch auch nicht naß regnen lassen. So würden @ zweifellos sagen: Höre mal, liebste Emilie @ Sophie oder Adelheid, wie kommst Du mir vor! @ leihe meinen Schirm einer Freundin, die ihren @ gessen hat, nicht aber einer, die sich keinen kau@ will und dafür auf meinen spekuliert.

Sie: Wie können Sie ein Buch mit einem Reg@ schirm vergleichen!

Ich: Der Vergleich ist wert, was alle Verglei@ went sind. Aber es handelt sich nicht bloß um d@ Standpunkt des Buchbesitzers, die Frage hat @ andere Seiten. Sie geben z. B. 10 oder 20 Fran@ aus für einen Theaterabend, der Ihnen vielle@ eine Enttäuschung bringt. Nehmen Sie die 10 o@ 20 Franken und kaufen sich ein wertvolles @ Vielleicht enttäuscht es Sie ebenfalls beim er@ Mal. Hätten Sie es entliehen, so bliebe der @ Eindruck haften. Gehört es Ihnen, so nehmen @ es wieder einmal vor, lesen sich hinein, entde@ ungeahnte Schönheiten, gewinnen an dem Buch ei@ Freund fürs Leben.

Sie: Wie kann man aber das vorher wissen?

Ich: Sie wissen ja auch nie vorher, wie @ Theaterstück auf Sie wirken wird. Und für d@ flüchtigen Eindrücke eines Theaterabends bezah@ Sie mehr, als für ein gutes Buch. Aber Sie und @ sind hier sozusagen Nebenpersonen. Eine Haup@ person ist der Verfasser des Buches. Er muß v@ seinen Büchern leben wie Ihr Herr Gemahl von d@ Waren, die er verkauft, und in denen er, das werd@ Sie mir zugeben, nicht soviel von seinem Eigen@ stecken hat, wie ein Schriftsteller in seinen Büche@ Und auch der Buchhändler will leben. Was wü@ aus den Bäckern, wenn sich die Menschen von B@ durch Heruml@ihen nähren könnten, wenn e@ Semmel für einen ganzen Bekanntenkreis reich@ müßte!

Ich glaubte, ich hätte sie überzeugt.

Gestern sagt@ mir der Verleger der „Fetzen“, H@ Van der Vekene, sie habe sich bei ihm einen Mari@ kalender gekauft und die „Fetzen“ nur so auf ein p@ Tage mit nachhaus genommen, um zu sehen, „ob @ das Kaufen verlohnen würde“.

TAGS
  • literature - Fetzen
KatalognummerBW-AK-010-2285