Dies ist eine Art Preisfrage.
Sie gehört in das Gebiet der Wohnungsnot. Damit ist ihre Schwierigkeit angedeutet.
Ecke Paradeplatz und Kohlenstraße betrieb Frl. Warkin mit ihrer 84jährigen Mutter ein Tabakgeschäft.
Sie bezahlte vor dem Krieg 2200 Franken Miete, seit 1919 war dieser Preis auf 3400 Franken gestiegen und zuletzt verlangte der Eigentümer 7500 Franken, während die Mieterin nur bis 5900, höchstens 6000 Franken gehen wollte. Es wurde ihr nach aller Form rechtens gekündigt, das Exmissionsurteil erfolgte und erlangte exekutorische Kraft, wie sie beim Gericht so schonend und malerisch zu sagen pflegen und infolgedessen wurden die Mieterinnen manu militari zum Ausziehen genötigt.
Wochenlang vorher hatte Frl. W. einflußreichen Freunden gegenüber geäußert, nun müsse sie aus der Wohnung heraus und sie befürchte davon für ihre 84jährige Mutter das Schlimmste. Sie legte ein ärztliches Zeugnis vor, das diese Befürchtung bestätigte. Es wurde ihr versichert, daß es nicht zum Äußersten kommen werde. Und schließlich kam es doch dazu.
In der ganzen Abwicklung der Dinge ist nirgends ein Fehler zu entdecken. Es ist, wie beim Wetter. Man weiß nicht, wem man die Schuld geben soll. Der Hausbesitzer, an den jedermann zuerst denkt, war in seinem Recht. Seine Steigerung bewegte sich diesseits der Grenzen, die gesetzlich gegen den Wohnungswucher ausgerichtet sind. Die Frage, ob er von seinem guten Recht eine Portion im Wert von einigen Tausend herschenken sollte, ist auf dem Rechtswege nicht zu entscheiden. Und da bekanntlich Undank der Welt Lohn ist, so haben es sich die Hausbesitzer schon längst abgewöhnt, ihren Mietern gegenüber als Schenkende aufzutreten.
Den Hausbesitzer trifft mithin keine Schuld. Die Richter auch nicht. Sie waren nach Lage der Dinge gezwungen, zu urteilen, wie sie es getan haben. Und nachdem das Urteil rechtskräftig geworden war, mußten die Gendarmen tun, was ihres Amtes war. Wir haben es also da mit einer Art Gerechtigkeitsautomat zu tun, dessen Räder, einmal in Bewegung, nicht mehr aufzuhalten waren und den zu zermalmen drohten, der sich vor ihren Zähnen nicht rechtzeitig reitete.
Es ist alles zum Glück glatt abgegangen und man könnte darin den Beweis dafür erblicken, daß eine Fehlerquelle und ein Fehler überhaupt nicht vorhanden waren.
Das Gegenteil lag aber, nach ärztlichem Zeugnis, im Bereich der Möglichkeit. Der Umzug hätte die alte Dame das Leben kosten können.
Wem war dann ein Vorwurf zu machen, wer wäre dafür verantwortlich gewesen?
Das ist die Preisfrage.
Es sieht in unserer Welt- und Gesellschaftsordnung alles so untadelig aus, und doch kann es manchmal hapern.
Wir haben dann das Bedürfnis, zu helfen, aber ein noch viel stärkeres Bedürfnis, einen Schuldigen ausfindig zu machen, um über ihn herzufallen.
Dies aber merkwürdigerweise nur insofern Unseresgleichen oder Lebewesen überhaupt in Betracht kommen. Da liegt uns das Kreuzige ihn! direkt auf der Zunge.
Handelt es sich aber um Natur-Zustände oder Ereignisse, die sich unserm Einfluß entziehen, so verhalten wir uns dazu ganz verschieden. Die einen, die an einen allweisen, allgütigen, allgerechten Schöpfer glauben, können sich in Entschuldigungen für ihn nicht genug tun. Er sehe eben weiter, er wisse genau, was er wolle, er wende alles zum Besseren, und wenn er in zwanzig Minuten eine ganze Stadt durch ein Erdbeben zerstöre oder die Menschheit fünf Jahre lang sich gegenseitig totschlagen lasse, so bleibe er nichtsdestoweniger der Allweise, Allgütige und Allgerechte, denn seine Ratschlüsse seien unerforschlich.
Die andern, die nicht an ihn glauben, verzichten eben auf den Genuß, einen Sündenbock zu haben. Sie sind die Weiseren.
Warum sollten wir .......?
Doch ich will nicht selbst mein Preisrätsel lösen.