Original

4. Februar 1923

Wieder wäre von einem neuen Lokal zu melden, diesmal einem, das offenbar zu einer langen Laufbahn ansetzt und das durch mancherlei Beziehungen merkwürdig ist.

Es nennt sich nicht nach einem berühmten Vorbild und nach einem italienisch oder englisch klingenden Namen, es trägt an der Stirn den Namen seines Begründers. Es heißt Restaurant O. Hippert wie in Paris die guten Häuser Drouant, Larue, Marguery, Prunier usw. nach ihrem Gründer oder Besitzer heißen.

An der Heerstraße von Diekirch nach Stavelot, in Hofingen, sreht ein altes Haus, in dem seit Menschengedenken der Verkehr hinauf und hinunter zu Rast und Trunk seine Pausen machte: Hippert!

Wer nicht „beim Hippert in Hosingen“ war, dem fehlt zum Luxemburger etwas Wesentliches. Der Hippert in Hosingen war immer eines von den Häusern, die genannt wurden, wenn irgendwo zur Debatte stand, wo man im Ösling vorteilhaft Einkehr halten könnte.

Aus diesem Hause ein Sproß will die Überlieferung seiner Hosinger Vorfahren nach der Hauptstadt des Landes abzweigen, und er gründet hier ein Restaurant großen Stils. Nicht in einem xbeliebigen traditionslosen Hause, sondern da, wo seine Großeltern mütterlicherseits vor Jahren ein stadt- und landbekanntes Fleischergeschäft betrieben. Also auf der ganzen Linie „chasse de race, set de Franzo’s“, von beiden Seiten mit Nährvaterveranlagung erblich belastet.

Noch ein Merkwürdiges haftet dem neuen Lokal an: daß es in der Großstraße liegt. Unsere Großstraße hat mit den Hauptgeschäftsstraßen anderer Städte das gemein, daß sie alle eine Art Boykott gegen solche Unternehmungen verhängen, die etwas anderm, als der Hetz des Busineß dienen. Seit Menschengedenken gab es in unserer Großstraße kein Café und kein Restaurant, von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen. Zur Zeit, wo Luxemburg Bundesfestung war, befand sich in der Großstraße das Café Barella, von dem die alten Luxemburger immer erzählten. Der Inhaber war ein Deutscher, seinem romanisch klingenden Namen zum Trotz, und dieser und jener erinnert sich noch, daß die Fräulein Barella hübsche Mädchen waren. Kein Wunder, daß ihr Café das Stammlokal der Garnisonsoffiziere war. Es lag unweit der heutigen Konditorei Küntgen, in einem Haus mit einem Balkon, wahrscheinlich dem späteren Hause Greisch-Schon, dem einzigen der ganzen Straßenflucht, das einen Balkon aufwies.

Ganz in der Nähe tat sich viel später, gegen 1890, ein kleines Restaurant auf, das eine Zeitlang gut besucht war. Es war begründet von einem belgischen Zugführer, dem wegen Schmuggelaffären der Boden seiner Heimat zu heiß geworden war und der sich darum hier als Restaurateur auftat, weil seine Frau zufällig eine vorzügliche Köchin war.

Das Café de l’Europe - auch als Café Warkin, Wierschem, Paulus bekannt - das Ecke Groß- und Reutorstraße lag und aus dem heute das Victoria House geworden ist, kann nur zu höchstens 25 Prozent der Großstraße zugerechnet werden, und das Café Misch um Rotenbrunnenplatz liegt eben am Rotenbrunnenplatz und nicht in der Großstraße.

Und nun tut sich mit einemmal hier an der Hauptverkehrs- und Geschäftsader ein Restaurant auf, das sich die desten und vornehmsten Lokale von auswärts sowohl in der Anordnung und Ausstattung der Räumlichkeiten wie in der ganzen Betriebsführung zum Muster nehmen will. Seit Jahr und Tag ist der Umbau im Gang, es schien, als ob die Vollendung noch Wochen und Monate dauern würde, als kurz entschlossen der Besitzer die Eröffnung auf den 3. Februar festsetzte. Und es ging. Am Vorabend wimmelten Säle und Treppen noch von bohrenden, feilenden, hobelnden, hämmernden Arbeitern - nur in der Küche sah es aus, als ob der Betrieb schon tagelang im Schwung sei, ein junger Chef von Prunier aus Paris thronte mit seiner weißen Krone über seinem prachtvoll geordneten Königreich von Töpfen, Kesseln und Herden und über den Feuern kochte ein herzhaft duftendes Abendessen. In dem weitläufigen Bau wurde die Nacht über wahre Heinzelmännchenarbeit verrichtet, und abends drängten sich in dem neuen Restaurant schon die Gäste.

Der untere Saal nimmt das ganze Erdgeschoß ein und wird in seiner hinteren Hälfte als Lichthof von oben erhellt. Das Restaurant liegt im ersten Stock und schließt mit einer offenen Galerie gegen den Lichthof ab. Durch Balkone und Säulen sind die Wandflächen angenehm gegliedert, die Dekoration in weiß und hellrot ist warm und freundlich. Herr Architekt Jost Nouveau darf auf sein Werk stolz sein, bei dem nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Bequemlichkeit des Betriebs und der Gäste in jeder Beziehung auf ihre Rechnung kommen.

Allgemeinwirtschaftlich verdienen Unternehmen, wie dieses, einer weiteren Beachtung, denn die Immobilisierung von Kapitalien in der Höhe, wie sie dieser Umbau erforderte, deutet auf ein weitgehendes Vertrauen in die Entwicklungsmöglichkeiten unserer Stadt. Und solches Vertrauen lockt immer weiteres an.

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    Katalognummer BW-AK-011-2331