Original

24. Mai 1924

Kein Teil der Weltgeschichte hat für uns in der Schule eine solche Belebung erfahren, wie die Menschen- und Völkerschicksale, die als Schauplatz die Ufer des Roten Meeres mit der Geburtsstätte Jesu Christi hatten. Der See Genesareth spielte in unserer Kinderphantaste eine Rolle lange bevor wir wußten, daß es einen Boden- oder Genfer- oder Michigan-See gab. Karl der Große war uns ein Waisenknabe gegen die drei Könige aus dem Morgenland, und in Babylonien, Palästina, Ägypten, Äthiopten usw. wußten wir besser Bescheid, als in der Geographie der Heimat.

Daher schreibt sich wohl ein Teil des Interesses, mit dem wir alle die Tage her der Ankunft des Thronerben-Regenten von Abyssinien entgegensehen. Nach all dem aufregenden Wissen, das uns seit Jahr und Tag aus dem Grabe Tut-ench-Amons geworden ist, nach all der leidenschaftlichen Teilnahme, die das Morgenland seither bei uns erregt hat, möchte es scheinen, als ob ein Stück jener Jahrtausende alten Kultur in der Person des Ras Tasart mit ergreisender Lebendigkeit unter uns träte.

Eine Dame, die ihn in Paris gesehen hat sagte mir: Er steht aus, wie auf einem gemalten Domsenster einer der drei Könige aus dem Morgenland.

Sagen von den drei Weisen, die hinter dem Stern nach Bethlehem zogen, von König Salomo und der Königin von Saba raunen im Stammbaum der Herrscher von Äthiopien.

Magier, Weise, Könige nennen sie die drei, die in der biblischen Vorstellung anbetend und mit Geschenken beladen an der Krippe des Heilandes knien.

Der Stärkste, der sich zum König machte, war auch der Magier, der Priester, der sich als Bindeglied zwischen der Gottheit und dem Volk zu geben wußte. Viel später erst kam die Trennung der Gewalten; sie war eine Sache des Temperaments, möchte man glauben. Der Mann der Tat, der nur an die Gewalt des Sicht- und Fühl- und Meßbaren glaubte, blieb der König, der andere, der die Macht über die Seelen und die Unüberwindlichkeit des Glaubens erprobt hatte, hielt es mit der geistigen Oberhoheit. Freilich gab es bis in die letzten Jahre auf dem europäischen Festland Herrscherköpfe, in denen der mystische Glaube an eine göttliche Sendung spukte und die am liebsten über den Hermelin noch das Gewand des Hohepriesters angezogen und mit dem Papst Smollts getrunken hätten.

Die Bibel hat die Zeit, in die der Zug der drei Könige nach Bethlehem fällt, sauber schematisiert. Natürlich haben sich damals nicht eines Nachts drei gekrönte Häupter aus dem Morgenland in der Wüste getroffen und gesagt: Ei ei, wo ziehen denn Sie hin, geliebter Vetter? - Ich möchte wissen, was es mit dem Stern da droben für eine Bewandtnis hat. - So so, mir ist er auch schon aufgefallen, so machen wir die Reise felbander. - Und natürlich ist der Stern dann nicht über einem Stall bei Bethlehem stehen geblieben, damit die drei Könige ihre für alle Fälle mitgebrachten Präsente an den Mann bringen konnten.

Aber waren die Könige nicht vielleicht damals schon, zum Teil wenigstens, so klug und vorausseherisch, wie es zu unserer Zeit zum Beispiel der große Leopold von Belgien war und wie es anscheinend auch der künftige Kaiser von Abyssinien ist? Vielleicht halte sich die User des Roten Meeres entlang und landeinwärts sickernd der Hauch einer neuen Zeit verbreitet, die ihre Strahlen dann in dem Brennpunkt Christus sammelte und wärme- und lichtspendend, vertausendfältigt über die Welt sandte. Vielleicht hatten die dreie davon gehört und begaben sich daraufhin auf die Informationsreise, die sie in die Bibel gebracht hat und von der sie des neuen Odems einen Hauch mit heimbrachten.

Als moderner Weiser aus dem Morgenland kommt der Ras Tafart auch zu uns, um das Neue, dem er in seinem Reich einen Platz anweisen will, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu

In der gestrigen Sitzung sollen noch verschiedene Fragen angeschnitten worden sein, die sich auf die Adsteckung der albanischen Grenze beziehen. Meldungen aus Rom zufolge sollen sich ernste Unruhen in Südalbanien zugetragen haben.

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