Original

20. September 1924

Gottes Notschlüsse sind unerforschlich.

Manche Gemeindereglemente auch.

Hatten Sie zum Beispiel eine Ahnung, daß Sie bei Polizeistrafe nachts Ihre Haustüre nicht offen stehen lassen dürfen?

Welchem Ehemann, der abends spät „in den Sektionen gearbeitet“ hatte, ist es nicht schon vorgekommen, daß er beim Nachhausegehen das Absperren vergaß? Mergens bekam er von der ordnungliebenden Gattin eine Standrede zu hören. Wie wäre ihm erst geworden, hätte er gewußt, daß die ganze Nacht bis zum Morgengrauen das Damoklesschwert eines Protokolls über seinem Haupt geschwebt hatte!

Nicht ohne leises Kopfschütteln lasen manche Bürger den letzten Stadtratsbericht, daß über dies Verbot der nächtlich offenstehenden Türen eine halbe Stunde geredet wurde, und darauf eine weitere halbe Stunde über die Zeit, wann morgens die Türen geöffnet werden dürfen, bezw. darüber, wer von den vielen Bewohnern eines Hauses für das polizeiwidrige Offenstehen der Tür verantwortlich gemacht werden soll.

Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist die noch dem Zweck der seltsamen Bestimmung. Auf Anhieb hält jedermann sie für überflüssig, weil es in der Natur der Sache liegt, daß in zivilisierten Gegenden alle Haustüren nachts geschlossen sein müssen. Es fällt ja auch niemanden ein, des Nachts seine Hose mit Vortemonnate draußen an die Klinke zu hängen.

Ja, aber, heißt es, die Bestimmung datiert aus dem Jahr 1841 und hat den Zweck, zu verhüten, daß nachts ein Verbrecher in einen offenen Hausgang flüchtet.

Da läßt sich hören. An Hand dieser Erklärung kann man sich leicht ausdenken, wie dies Reglement in der Praxis sich auswirken muß.

Ein Bösewicht hat zum Beispiel auf Limpertsberg nachts eine Gaslaterne zerschlagen. Die Polizei verfolgt ihn. Andrerseits hat in Bonneweg jemand des Nachts seine Haustüre offen stehen gelassen. Wie leicht kann es nun vorkommen, daß sich besagter Bösewicht in den Bouneweger Hausgang rettet und sich der Verfolgung der Polizei durch eine Flucht über die Dächer der Nachbarschaft entzieht!

Oder man kann sich den Fall so denken: Der Bösemicht schmeißt eine Schaufensterscheibe in der Großstraße ein. In der Regel sind dort die Haustüren verschlossen. Der Bösewicht muß also von Klinke zu Klinke probieren, ob nicht etwa ein Gang zufällig offen stehen geblieben ist. In diesen rettet er sich hinein während inzwischen die Polizisten in Vertrauen auf Gott und ihr gutes Recht unter einer der nenen elektrischen Straßenlampen die letzte Numer des „Gutut“ lesen.

Es wäre vielleicht angezeigt gewesen, aber die Frage ein paar Fachleute zu Rate zu ziehen. Geeignete Persönlichkeiten sind ja in größerer Anzahl stets im Grundgesängnis zu finden. Ich kann mir denken, wie sich ein Ein- oder Verbrecher von Beruf über dies Reglement von 1841 äußern würde.

„Was du ererbt von deinen Vätern hast - Erwird es, um es zu besitzen. Solch olle Kamellen machen sich im Arsenal der Gesetzgebung aller Stufen äußerst ehrwürdig, und es ist nur zu billigen, daß die Behörden daran festhalten. Uns berühren sie beruflich gar nicht. Es ist längst veraltet, Hausgänge zu flüchten. Damit arbeitet nur nach das Kino. Jeder Hausgang ist eine Mäusefalle. Sie entschuldigen, daß ich auf unsere modernen Methoden nicht näher eingehe. Aber wie gesagt, das Türschlußgebot von 1841 hat für uns nur noch historische Bedeutung.“

TAGS
  • curfew
KatalognummerBW-AK-012-2724