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18. September 1924

Trierer Blätter berichteten dieser Tage über eine Hundertjahr-Gedenkfeier in Pfalzel zu Ehren des Komponisten Heinrich Oberhoffer.

Die meisten meiner Leser wissen wahrscheinlich wenig von Pfalzel und gar nichts von Heinrich Oberhoffer. Sie wissen nicht, daß Pfalzel, eine Stätte zweitausendjähriger Kultur, seinen Namen von einem römischen Palatium hat, das dort lange vor Christi Geburt bestand, und daß es möglicherweise eine Zeit gab, wo Trier bei Pfalzel und nicht Pfalzel bei Trier lag.

Von Heinrich Oberhoffer aber wissen sie, wie gesagt, wahrscheinlich gar nichts. Und doch war er an die dreißig Jahre lang ein Pfeiler des luxemburgischen Musiklebens, Musikprofessor an der Lehrernormalschule, Organist zu Liebfrauen und bei den Redemptoristen. Er starb hie am 29. Mai 1885.

Ich erlebte diesen Künstler zu einer Zeit, wo die Knabenseele Eindrücke wie weiches Wachs aufnimmt. Es war an einem Sonntagvormittag, in der sogenannten Studentenmesse in der Kathedrale. Man schwamm in der Mystik des gedämpft durchsonnten Kirchendämmers, der dunkeln Leidenschaft, die aus den farbigen Jenstern leuchtete, des Weihrauchduftes, der ganzen Getragenheit der Vorgänge und des lteus. Und da hinein strömte dann das klingende Wunder des Orgelspiels. Oberhoffer war Herr über die Orgel, wie ein Mann über ein Weib Herr ist. Er ergoß in sie die Stürme, in denen sein Musikempfinden aufbrauste, es reuschte unter den Gewölben wild, majestätisch, himmelstürmend, und dann schwoll der Orkan ab und durch blumigen Wiesengrund rieselte bei geklärtem Himmel das gebändigte Rauschen des Rachspiels.

Später stand ich als älteres Semester nicht selten neben ihm, sah ihm auf die Hände, aber besonders ins Gesicht, über das sein Spiel Lichter und Schatten warf, wie Sturm und Sonne über die Heide.

Er war auch als körperliche Erscheinung ein Sonderfall. Als ob er sich selbst komponiert hätte. Das scharf geschnittene Profil erinnerte zumal in den letzten Jahren, wo Krankheit ihre Spuren in die Züge gegraben hatte, auffallend an das verhalten Leidenschaftliche eines Richard Wagner Kopfes. Wenn der Mann so durch die Straßen daherkam, breitschultrig, die Hände mit dem Stock hinterm Rücken verschränkt, oder sich in langen Schritten vorwärts stechend, merkte jeder den Ungestüm, den inneren Drang, den Druck, unter dem diese Natur stand.

Impulsiv, primär, springquellartig und doch von tiefer Innerlichkeit war er auch als Komponist. Eine Trombe von Ungestüm und Innigkeit. Sein „Weihegesang an die hl. Cäcilia“ - übrigens das einzige Werk von ihm, das bei der Gedenkfeier in Pfalzel auf dem Programm stand - ist für seine Art charakteristisch. Reich strömende Erfindung, Pathos, Melodie im besten Sinn des Wortes, ein Männerchor, dessen Weise und Akkordenführung sich einem unauslöschlich einprägen.

Und lachen konnte der Mann, daß die Zähne blitzten. Bis ihn das Schicksal ins Mark traf. Den ausgehenden Fünfziger lähmte ein Schlaganfall. Es glich der Tragik im Leben des tauben Beethoven. Wie der Zusammenprall wuchtiger Maschinen in voller Fahrt war es, wie dieser Aufrechte, Schaffende, Lachende, mit dem tückischen Geschick zusammenstieß und auf der Bahn liegen blieb. Nicht mehr spielen war ihm schlimmer als der Tod. So saß er am Flügel, schlug die Partitur einer Oper auf, las die Seiten herunter, hörte das Orchester klingen im innern Sinn des gottbegnadeten Musikers, aber die Töne zu lauter Auferstehung wecken war ihm versagt. Dann kam der Tod und machte diesmal ganze Arbeit.

Seine Kinder wurden vom Leben und vom Tod verstreut. Der Älteste, Louis, wurde der Vater des Aachener Professors Paul Oberhoffer den alle luxemburger Studierenden als Menschen und Gelehrten hoch verehren. Werner Oberhoffer schlug in einer englischen Großstadt die Laufbahn des Vaters ein, der Oberhoffesch Jackel war eine Größe des luxemburger Radsports, als das Radsahren noch seltener war, als heute das Fliegen, und fand in der lothringischen Industrie ein schönes Fortkommen. Von zwei Töchtern wurde die eine die Gattin des Unternehmers Monshausen aus Trier, die andere, Jenny Oberhoffen Frau Bürgermeister Reuß, Schwägerin des kürzlich hier verstorbenen Spediteurs Eduard Reuß.

Der Jüngste, Ändre’ Oberhoffer, wurde der Nachfolger seines Vaters. Sein Fleisch und Blut waren Musik. Beim Klavier- und Orgelspiel strömten ihm Herz, Phantasie, Temperament, Stimmung, Haß, Liebe, alles ohne Zwischenhemmung durch die Materie in Töne über. Er ging, seinem Vater darin ähnlich, durch die Straßen, wie hinter einem Ideal her, strebend vornüber geneigt, seine stahlblauen Augen fixierten das Jenseits - es zog ihn hin, aus dem Mittag seines versonnenen Künstlerlebens.

Und so erinnert uns, die jene lieben Menschen kannten, die Feier in Pfalzel nur noch an einen volltönenden, emporbrausenden Akkord, der einst über und mitten unter uns war und in der Ferne uns nun langsam verklingt.

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KatalognummerBW-AK-012-2723