Warst Du nie dabei, wenn in der Schule ein Strafgericht losbrach über die Bösewichter, die am Spritzenhaus oder sonstwo die Fenster eingeschmissen hatten? Zitternd und blaß saßen die Schuldigen und stopften sich noch rasch ein Heft in den Hosenboden, während die andern, die sich frei wußten, von süßen Schauern durchbebt im Vollgefühl ihrer Unschuld der Exekution beiwohnten.
Ähnliche Gesühle gingen in diesen Tagen durch die Welt der Schnapsbrenner und Schnapsinteressenten.
Seit Jahr und Tag hatte die Steuerbehörde festgestellt, daß das Quantum des verbrauchten und versandten Schnapses in keinem Verhältnis mehr zu den gebuchten Steuereingängen stand. Was lag näher, als daß der Steuerbehörde der Verdacht kam, es werde heimlich Schnaps gebrannt.
Der Rest ist bekannt: Razzia, erwischt, Heulen und Zähneklappern.
Und nun denke Dir bitte das erlöste Aufatmen aller, die nicht zu den Opfern gehören. Alle die Glücksvögel, die grade morgen ihren heimlichen Brennkessel einrichten wollten! Oder die andern, die gestern ihren Betrieb eingestellt und den Apparat abgebaut hatten! Und gar die braven Knaben, die aus lauter Furcht des Herrn es nie gewagt hatten, heimliche Schnapsbrenner zu werden! Sie alle, die nicht dabei waren, sagen heute altklug und salbungsvoll: Ja, wie man’s treibt, so geht’s. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er voll wird. Herr, wie danke ich dir, daß ich nicht bin wie diese schwarzen Seelen, die sich nicht scheuen, sich zu bereichern, indem sie die Allgemeinheit um Tausende von Steuern betrügen!
Die Geschichte hat eine Moral, wie jede noch so anrüchige Geschichte. Man könnte sie hier in die Binsenwahrheit fassen, daß Druck Gegendruck erzeugt. Jedes Verbot ist eine Herausforderung zur Übertretung, und wie die Spitzbuben immer schlauer sein müssen, als das Gesetz, so wird auf die Übertretung auch immer mehr Grütze verwandt, als auf das Verbot. Die Übertretung hat immer das letzte Wort. Der Herr Steuerdirektor soll sich nur nicht einbilden, er habe mit dieser Razzia der heimlichen Schnapsbrennerei den Todesstoß versetzt. Er hat ihr nur den Anstoß zur Entsaltung noch größerer Schläue gegeben. Denn bis jetzt stak sie noch in den Kinderschuhen. Einen Branntweinkessel im Keller oder unterm Dach verstecken ist schließlich das Abo der Kunst. Wenn man die Moonshiner zum Äußersten treibt, so wird man es erleben, daß eines Tages vor dem Bürofenster des Herrn Steuerdirektors das Dicks-Lentz-Monument als verkleideter Branntweinkessel entlarvt wird. Das trockengelegte Amerika liefert in diesem Betracht lehrreiche Beispiele. Wie sagte schon Fräulein Schmit aus Chicago, als sie voriges Jahr mit ihrem Papa auf Besuch in der alten Heimat war: „Märr kuelen ße duenken eso’ vill ewe’ märr uöllen!“
Man gebe sich also keinen Illusionen hin. Der Kampf zwischen Verbot und Übertretung ist eines der Grundgesetze, auf denen die Welt aufgebaut ist. Er ist hier der ins Wirtschaftliche übersetzte Kampf der Geschlechter, auf dem der Fortgang alles Lebens beruht. Aus dem Kampf zwischen Verbot und Übertretung im weitesten Sinn gebiert sich der Fortschritt. Und darum werden auch die heimlichen Schnapsbrenner von einer Razzia zur andern immer raffiniertere Methoden austifteln. Sie werden den „Kellerratten“ immer über sein, weil sie einem stärkeren Antrieb gehorchen.