Original

20. Oktober 1925

Ein treuer Leser der Zeitung ist so freundlich, uns ein paar Gedichte in luxemburger Mundart einzusenden, deren Verfasser ein längst im Ruhestand lebender alter Werkführer ist. Seine literarische Bildung war höchst primitiv, sein ganzes Leben hindurch - er ist heute achtzig Jahre alt - war er durch Handarbeit in Anspruch genommen und behielt trotzdem Zeit, manche seiner Einfälle in saubere Verse zu bringen.

Für den, der sich angelegentlich mit heimischem Schrifttum beschäftigt, muß es höchst interessant sein zu sehen, wie unsere Sprache auf das Liebeswerben schlichter Dilettanten reagiert. Es muß sich selbstverständlich um solche Freier handeln, die mit gesundem Naturgefühl an die Sache herangehen und die sich in die schlichte, bodenständige Auffassung, die unmittelbare Anschauung der Dinge nicht erst durch künstliche Umschaltung hineinzuversetzen brauchen. Wenn dann einer das Herz am rechten Fleck und im übrigen gelernt hat, jedes Ding beim richtigen Namen zu nennen, so gelingt ihm leicht ein Stückchen, der sich in Gesellschaft der Besten nicht zu schämen bräuchte. Aber auch wenn ihm der literarische Firnis und der tief aufwallende poetische Wellenschlag fehlen, man hat daran sozusagen demokratische Freude, weil man naiv empfindet, daß das Dichten nicht ein Monopol der intellektuellen Millionäre ist.

Der alte Herr, der zu diesen Zeilen die Veranlassung gab, hat u. a. einmal die luxemburger Heimatscholle besungen. Er macht keinen Anspruch auf den Titel eines Nationaldichters, aber seine Strophen weisen die Vorzüge auf, die unsern Besten nach gerühmt werden. Sie sind in direkter Fühlung mit der Natur empfunden und sagen ohne Umschweife glatt und platt in der ungeschminkten Sprache des Volks, was sie sagen wollen. Die Gedichte des alten Werkführers vergilben bescheiden in den Schubladen. So soll wenigstens eines davon hier Auferstehung feiern und dartun, daß unsere arme Muttersprache reich genug ist, alle, auch die Anspruchslosesten, an Klang und Rhythmus zu beschenken:

„Ons Hemechtsscholl.Kuckt we’ le’f, we’ sche’, we’ prächtegFiezt se all hir Kanner ’raus!D’Bem aparti stieche mächtegÖnner hinnen all eraus.Kuckt de’ schwe’er FruchtegarwenAn de’ Blummen dann ere’scht,All dat Uebst an all de’ Farwen,An dat Fudder fir de Be’scht.Alles dat muß sie ernieren,A fir ons mecht sie et gier,Uni sech emol ze wieren,Wat dach wierklech ne’deg wier.Well wie wöllt se zielen, d’Wonnen,De’ de Plo’ an d’Menschenhand,Uni dat se se verbonnen,Ongbarmherzeg scho geschandt!Ja, wat mieten d’Herrlechkeeten,Wa sie siet, an dat mat Recht:„Git, ech sollt iech nach voll fleeten,Dir bezuelt meng Guddheet schlecht!Mat dem Plo’ a mat den HelenKommt der we’ eng Raiberband,Fir ze rappen an ze delenAn da gin ech nees geschandt!“Neen, de’ brav, sie wöllt blo’s schaffen,’t Leed erdron an emmer gin,Fir dat d’Kanner könne baffenAn derbei zefridde sin.“
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    Katalognummer BW-AK-013-3011