Original

22. Oktober 1925

Herr Redakteur! Ich habe Ihnen lange nicht geschrieben, um so lieber werden Sie mir gestatten, mich heute über Einiges zu verbreiten, was mir aufgefallen ist.

Es war heute ein milder, sonniger Oktobermorgen, ich hätte mich seiner freuen können, wie jedermann, aber da müssen ausgerechnet mir wieder Dinge aufstoßen, die mir die ganze Herrlichkeit verderben.

Ich habe eine Vorliebe für unser Kriegerdenkmal auf dem Konstitutionsplatz und die Aussicht, die man von dort genießt. Ich hatte mir die schöne Totenwacht von Claus Cito lang nicht aus der Nähe angesehen. Wie erstaunt war ich, daß inzwischen aus dem einen Denkmal deren drei geworden sind. Von den zweien, die hinzu kamen, gilt eines den Pariser Kameraden unsrer Gefallenen. All right. Das andre haben sich - raten Sie wer? - haben sich belgische Fabrikanten und Kaufleute gesetzt. Eine ansehnliche Granittafel mit einer handgroßen bronzenen Palme, daneben: Hommage des Exposants Belges de la II Foire Commerciale.

Ich hätte begriffen, daß die Leute einen schönen, großen, teuern, einen Riesenkranz mit schwarzrotgoldner Schleife und ihrer Adresse vor dem Denkmal niedergelegt hätten, wie es alle tun und wie es zum rührenden Brauch geworden ist. Aber es fällt mir schwer, zu begreifen, wie sie dazu kommen, sich neben den Pariser Kameraden der Gefallenen und am Fuße unseres Kriegerdenkmals in Granit und Bronze zu verewigen. Diese seltsame Verquickung von Geschäft und Heldentum ist jedenfalls das Neueste, wo man hat, und es ist zum mindesten originell, daß man, wenn man nach Luxemburg geht, um Kundschaft für seinen Käse zu werben, die Gelegenheit benützt, sich den Toten von Belloy-en-Santerre und anderen Schlachtfeldern auf ewige Zeiten ins Schlepptau zu hängen. Man verbrüdere sich geschäftlich, à la bonne heure, aber bitte um Gottes willen auf anderem Terrain. Wie sähe es aus, wenn die Putzmacherinnen von Athen ihre Firmen in den Sockel der Venus von Milo hätten einmeißeln lassen, um ihr Andenken der Nachwelt zu erhalten!

Pardon, ich bin noch nicht fertig. Ich habe bei näherem Hinsehen auf der Rückseite des Denkmals die bescheidene, aber immerhin bronzene Inschrift entdeckt: „D’ Letzeburger Vollek sengen treie Jongen. Hören Sie, wenn man unsere Muttersprache für kommende Geschlechter in Erz hinschreibt, sollte man nicht mit einem groben orthographischen Fehler anfangen. Es heißt nicht De Letzeburger Vollek, sondern Et Letzeburger Vollek, also bleibt beim Eliminieren des stummen e ein t und nicht ein D stehen.

Jetzt gedachte ich mich wenigstens ungestört an der Natur zu freuen. Soweit es von ihr abhing, war ja alles soweit in Ordnung, Baum und Busch und Rasen der Jahreszeit entsprechend abgetönt, der Himmel blau mit zarter Wolkenwattierung, über die Neue Brücke ein lebhaftes Gerinne von Mensch und Tier und Wagen, Blutkörperchen des Verkehrs, äußerst erfreulich, dahinter die nie zu verbauende Fernsicht auf die Wälder von Leudelingen und Dippach, erste Etappe der nach Westen strebenden Sehnsucht - aber da blinkt fatal, dirnenhaft zutraulich, trübe, stinkend die Petruß herauf.

Quousque tandem!

Ihr Grimmberger, Nörgler.

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  • letter by Grimberger
KatalognummerBW-AK-013-3013