In Athen soll der Polizeipräfekt durch einen Ukas den Mädchen und Frauen vom 1. Dezember ab verboten haben, kurze Röcke zu tragen.
Wahrscheinlich spielt in Griechenland der 1. Dezember dieselbe Rolle, wie bei uns der 1. April.
Wäre dem nicht so und hätten wir es wirklich mit einem Polizeiverbot zu tun, so müßte die Kulturwelt zu solcher Barbarei Stellung nehmen.
Die Mode gehorcht, seit es Menschen gibt, ungeschriebenen und unerbittlichen Gesetzen, aber keinen Polizeiverfügungen. Die Polizei mag die kurzen Röcke in der ganzen Welt verbieten, im Geist tragen alle Frauen sie weiter kurze Frauenrock ist nicht ein bloß Äußerliches, er ist eine Form der Psyche, die sich aus dem Zeitgeist entwickelt hat und sich nicht mit einem Federstrich austilgen läßt.
Paul Souday unterzieht den Ukas des Polizeigewaltigen von Athen im „Temps“ einer geistreichen Plauderei und findet es u. a. sonderbar, daß grade in Griechenland den Frauen die kurze Wichs verboten sein soll, wo sogar die Männer ihre Oberschenkel mit der Fustanella umhängen, dem gefältelten Wippröckchen, dessen Kürze nur durch die der BalleteusenTütüs erreicht wird.
Fürchtet die griechische Polizei, ihre Landsmänninnen könnten gegen die idealen Körper der Zeitgenossinnen des Praxiteles allzu schlecht abschneiden? Oder gibt es in Griechenland Webereien von Modestoffen, die finden, daß längere Gewänder ihren Absatz steigern würden?
Nein, die Frauenwelt hat allzu lange um das Recht gekämpft, ihre Beine zeigen zu dürfen, als daß ihr dies Recht jetzt auf einmal verkürzt und ihre Röcke verlängert werden dürften.
Man kann es der Frau nachfühlen, wie demütigend es für sie gewesen sein muß, durchs Leben zu schreiten, ohne die Glieder zeigen zu dürfen, mit deren Hilfe dies geschah. Das war Sklaverei genau wie der Zwang, unter dem die Türkinnen ihr Antlitz verhüllen müssen. Sklaverei und Egoismus und Alleinherrschergelüste des Mannes. Da gab es Ketten zu brechen, und durch alle Zeiten sehen wir die Anstürme, die gemacht wurden, um dem Frauenbein zur Geltung zu verhelfen. Die Berechtigung der Forderung sahen schon im grauen Altertum und grade in Griechenland die Künstler ein, die selbst, wo sie die Frau mit langen Gewandfalten umgossen, sie doch so stellten, daß sie den Wind von vorne bekam und sich ihre Beine durch das Gewand hindurch deutlich abzeichneten. Für moderne Tugendbegriffe manchmal zu deutlich, wie wir es mit der „Golle Fra“ erlebt haben.
Was war später zum Beispiel der Froufrou-Unterrock anders als ein schüchterner Versuch, daran zu gemahnen, daß sich unter dem Rock zwei Beine bewegten, die in keiner Weise vor denen des Mannes zurückzustehen brauchten?
Daß die Frauen so hartnäckig den Mut ihrer Beine hatten und ihr Recht bis fast zum Knie hinauf durchgesetzt haben, das ist keine Angelegenheit der Made. Das gehört in das Kapitel der Kämpfe um die Menschenrechte, so gut wie die französische Reyolution, und wie niemand heute daran denkt, daß jemals die Errungenschaften der französischen Revolution verloren gehen könnten, so muß es als ausgeschlossen betrachtet werden, daß die Mode jemals den kurzen Frauenrock wieder verdrängen wird.
Daß dies, wie gesagt, keine Angelegenheit der Mode ist, beweist am besten die Tatsache, daß alle Frauen sich einmütig zum kurzen Rock bekannt haben, die mit graden und die mit weniger graden Beinen. Es kommt hier also wenigstens einem großen Prozentsatz der Frauenwelt nicht darauf an, zu gefallen, ja, viele geben sich sehr wohl Rechenschaft, daß die heutige Rocktracht ihnen unmittelbar zum Nachteil gereicht. Wenn sie trotzdem daran festhalten, so geschieht es, weil sie wissen, es geht um ein schwer erkämpftes Recht, dessen Nachteile man, wie die Nachteile aller Art von Freiheit, eben in den Kauf nehmen muß.
Hoffen wir also, daß das moralästhetische Tiefdruckgebiet, das sich im Osten gebildet zu haben scheint, nicht auf uns übergreift.