Original

13. Januar 1921

In der Pariser Zeitung «L’ère nouvelle» stand dieser Tage ein interessanter Artikel über „den letzten Thron in Mitteleuropa, das Reich Johanns II.“

Er beginnt mit folgender Feststellung:

„Seit 1. November 1918 ist von der Nordsee bis zur Grenze der ungarischen Steppen kein Thron mehr aufrecht. Die früheren Kronenträger haben verzichtet und führen wie einfache Privatleute ein ruhmloses Dasein.

Eine einzige Krone, ein einziger Monarch wurden bei dem Zusammenbruch in Mitteleuropa verschont: die Krone von L. und Prinz Jean.

Die L. sind alten Stammes. Als Ludwig der Heilige Graf von Toulouse wurde, erhielt ein L. die Grafschaft Nikolsburg in Mähren als Leibgedinge. Er wurde später König von Böhmen. .....

Die Familie L. sah allmählich ihre Macht wachsen. 1580 waren noch ihre sämtlichen Mitglieder protestantisch, später wurden sie wieder katholisch. .....

Nur das Fürstentum Monaco kann mit dem Reiche Johanns von L. verglichen werden. Monaco ist kleiner, aber berühmter, als L., denn dieses hat beharrlich die geräuschvolle Reklame der Roulette verschmäht.“

Der Artikel macht dann die üblichen Angaben über die geographische Lage, die Einwohnerzahl von L., stellt fest, daß die Hauptstadt an der Eisenbahnlinie Wien-Paris liegt, daß es seit über 50 Jahren keine Armee mehr besitzt. Auch L. wurde nach dem Zusammenbruch der Zentralmächte von der revolutionären Woge berührt: „Eine Revolution wäre aufs Haar in der Hauptstadt ausgebrochen, aber auf diesem Fleckchen Erde, dessen Einwohner ausnahmslos überzeugte Katholiken sind, gab es weder Marat noch Danton, weder Liebknecht noch Eisner, noch viel weniger einen Lenin oder Trotzki. ..... Die Bevölkerung verlangte stürmisch die Ernennung eines Eingeborenen zum Gouverneur. Aber durch ein Plebiszit wurde die revolutionäre Resolution mit erdrückender Mehrheit verworfen usw.“

Es handelt sich um das Fürstentum Liechtenstein. (Was hatten Sie denn gemeint?) Liechtenstein hat keine Zivilliste, die gesetzgebende Gewalt liegt in den Händen von zwölf Parlamentariern, die nach dem allgemeinen Stimmrecht gewählt und drei weiteren, die vom Fürsten ernannt werden. Die Staatseinnahmen sind höher, als die Ausgaben, eine öffentliche Schuld gibt es folglich nicht. Fürst Johann (der Zweite) bestieg 1858 als Achtzehnjähriger den Thron. Niemals sah man ihn in Wien bei Hof, niemals trug er eine Uniform oder einen Orden, niemals wurde ihm zu Ehren eine Landeshymne angestimmt, niemals war er in irgend eine politische Intrige verwickelt. ... Obschon er von allen Mächten als regierender Fürst anerkannt war, unterzog er sich stets allen Steuern, die in Österreich erhoben wurden. Sein Park steht dem Publikum offen. Die Bewohner seines Stadtviertels in Wien protestierten energisch dagegen, daß die sozialistische Regierung die Besitzungen Johanns @ von Liechtenstein konfiskieren wollte. ......

Niemals hat Fürst Johann II. einen Unterschied zwischen Tschechen und Deutschen gemacht, er war immer ein Liechtensteiner und weiter nichts. Es ist zu wünschen, daß die junge tschecho-slowakische Republik sich an die besondere Stellung des Fürsten von Liechtenstein erinnere und die Aufnahme dieses Ländchens in den Völkerbund seinem Monarchen, dem letzten von Mitteleuropa, den Besitz seiner Domänen sichere, von denen er, wie seine Väter, nur zum allgemeinen Wohl Gebrauch gemacht hat.“

Hoch lebe Fürst Johann von Liechtenstein!

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    Katalognummer BW-AK-009-1817