Zu den weltlichen Festen des Jahres gehört das Schweineschlachten. Hier soll davon indes nur als Einleitung zu Höherem die Rede sein.
Wenn ein Schwein geschlachtet wird, bleibt bekanntlich kein Abfall. Also nicht, daß etwa alles, was nicht Speck und Fleisch ist, fortgeworfen würde, daß nachher auf dem Platz ein Haufe Borsten, Knorpel und Eingeweide läge, nein, da, wo das Schwein war, ist nachher nichts mehr, alles findet seine Verwendung. Die Borsten sind so kostbar, daß sie auf französisch sogar mit der Seide gleich gestellt werden, aus Ohren und Füßen kocht man die leckeren Sülze, Herz und Lungen geben zusammen mit Dörrzwetschgen das Kirmesgehäcks usw. usw.
Auch die Wahlen gehören zu den profanen Festen des Jahres. Ich will sie nicht mit dem Schweineschlachten vergleichen, obgleich es auch bei ihnen manchmal viel Geschrei und wenig Wolle gibt, aber in einem glichen sie dennoch dem Schweineschlachten, wenn sie sich nicht grade darin von ihm unterschieden. Nämlich in den Abfällen, in dem „Umgeräts“, das beim Schwein so gar wertvoll ist, während es bei den Wahlen als durchaus verachtungswürdig unter den Tisch fallen gelassen wird.
Ich meine die ungültigen Zettel.
Die ungültigen Wahlzettel werden einfach beiseite geschoben. Sie haben nur noch Wert als altes Papier. Die Stimmzähler fassen sie verächtlich mit den Fingerspitzen an, als erbärmliche Zeugen menschlicher Dummheit und staatsbürgerlicher Unkultur.
Ist das recht und billig? Ich finde nicht. Ein ungültiger Zettel hat dem Wähler oder der Wählerin ganz sicher mehr Sorge und Kopfzerbrechen verursacht, als ein gültiger. Stellen Sie Sich bitte das arme Luder von Analphabet vor, das von Gibraltar bis nach Bonneweg-Süd, also fast bis nach Zwickau, quer durch Europa, in Sturm und Regen wandert, um wegen Nichterfüllung seiner Wahlpflicht nicht vor Gericht geschleppt zu werden. Man drückt ihm einen Zettel in die Hand, der ganz anders aussieht, als der im „Luxemburger Wort“, den es in der Tasche mitgebracht hat. Es weiß damit nichts anzufangen. Es malt aufs gratewohl Punkte und Kreuze hinter Namen, froh, daß ihm niemand zusieht, und atmet erleichtert auf, wenn es wieder draußen in Wind und Regen ist, und wenn der Herr Kaplan, der oben an der Türe Wache steht, es nicht übek seine Wahl interpelliert hat.
Ich bitt Sie, in solchem Wahlzettel steckt mehr Arbeit und Verdienst, als in dem eines Professors der Mathematik, von dem man übrigens auch noch lange nicht weiß, ob er seinen Zettel nicht ungültig gemacht hat. Denn richtig wählen ist heute manchmal schwerer, als Infinitesimalrechnen und Wurzelausziehen.
Was ich also sagen wollte: Es ist schnöde Materialvergeudung, wenn die ungültigen Wahlzettel so einfach eingestampft werden, ohne daß es ihnen ermöglicht wird, sich in ihren politischen Konsequenzen auszuwirken. Da ist ein ganzer Prozentsatz von Wählern- 20 Prozent diesmal, heißt es - deren Stimmabgabe einfach in die Luft erfolgt, deren Wählerwille nicht respektiert wird. Und das ist nicht zu verantworten.
Ich schlage deshalb vor, die ungültigen Zettel für sich zu zählen und aus den Kandidaten, die sich dabei als gewählt herausstellen, eine eigene Körperschaft zu bilden, also die Vertretung desjenigen Teils der Wählerschaft, von dem die ungültigen Zettel stammen. Ein Name würde sich schon finden. Ich würde zum Beispiel vorschlagen: Tresterparlament. Denn es wäre aus dem Abfall destilliert, grade wie der Tresterbranntwein. Oder das Parlament der Seligen. Denn selig sind die Armen im Geist. Das wäre also das Umgekehrte vom Trester.
Wenn nur das skandalös Unwirtschaftliche in der Behandlung des Wahl-„Umgeräts“ aufhört.