Der preußische Minister des Innern, Herr Severing - offenbar von Sévère - hat eine Verfügung gegen die Monokelträger in Offiziersuniform erlassen. Die Offiziere heißen nicht mehr Offiziere, sondern obere Beamte, und das Militär nicht mehr Militär, sondern Schutzpolizei, aber im Übrigen scheint - so befürchtet offenbar Herr Severing - alles beim alten geblieben zu sein.
Die Verfügung lautet:
„Trotz meiner verschiedenen Hinweise ist es mir aufgefallen, daß ein Teil der oberen Beamten der Schutzpolizei immer noch Eingläser trägt. Da dies zweifellos in den weitaus meisten Fällen auf äußerlichen Gründen beruht, nicht auf einseitiger Augenschwäche, ersuche ich, darauf hinzuwirken, daß diese unzeitmäßige Gewohnheit in Zukunft unterbleibt. Gerade jetzt hat der Polizeibeamte mehr als je um Dasein und Anerkennung zu ringen. Dieses Bestreben, das sich nur auf Pflichtgefühl, Wissen und Takt stützen darf, wird durch Auswüchse der oben erwähnten Art, die auch in der ernstgesinnten Beamtenschaft die gebührende Beurteilung finden, in höchst nachteiliger Weise beeinträchtigt. Soweit sich die betreffenden oberen Beamten darauf stützen, daß sie tatsächlich mit einem einseitigen Augenleiden behaftet sind, wird eine scharfe Nachprüfung ihrer vollen Polizeidienstfähigkeit durch den beamteten Arzt eintreten müssen. Ich muß von jedem Beamten erwarten, daß er in diesen schweren Zeiten unter Ausschaltung jeder Äußerlichkeit seinem Berufe nachgeht und demgemäß vom Tragen des Einglases absieht.“
Dem Minister des Innern könnte es schließlich egal sein, ob ein Offizier der Schutzpolizei sich ein Glas oder zwei Gläser oder gar keines auf die Nase setzt. Aber er weiß, daß das Einglas von jeher das Erkennungszeichen des Äbäh-Leutnants und des Patentsatzke war, der mehr Wert auf einen festen Sitz des Monokels, als auf einen sittlichen Lebenswandel legte und bei einem Sturz mit dem Gaul sich weniger über eine Gehirnerschütterung aufregte, als darüber, daß ihm das Monokel aus der Augenhöhle flog. Das erste war ein Unglück, das zweite war eine Blamage.
Herr Severing macht sich Gedanken darüber, daß ein solcher Geist lächerlicher Frivolität durch die große Katastrophe nicht konnte ausgerottet werden. Er steht sicher nicht allein mit seiner Besorgnis. Die besten Deutschen hatten von dem reinigenden Gewitter eine Einkehr, eine Aufraffung Deutschlands erhofft. Um die Zeit des Waffenstillstands herum hatte ich hier aus einem Aufsatz von Karl Scheffler vom 5. Dezember 1908 ein paar Stellen abgedruckt, die den deutschen Kaiser und das deutsche Volk von damals mit unbarmherziger Offenheit charakterisierten und den unglücklichen Krieg mit erschütternder Bestimmtheit vorhersagten, aber auch die Hoffnung des Besserwerdens daran knüpften. Si componere magnis parva mihi fas est - wenn ich vom Äbäh-Leutnant auf das deutsche Volk und vom Monokel auf das versallene Reich kommen darf, so bringe ich die Worte Schefflers nochmals in Erinnerung und stelle sie neben die Verfügung des Herrn Severing, wo sie zweifellos zum Nachdenken anregen. Scheffler schrieb vor zwölf Jahren, kurz nach dem Skandal, den das Interview Wilhelms im „Daily Telegraph“ heraufbeschworen hatte:
„Das wird kommen. Ein furchtbarer Krieg wahrscheinlich und schwere Niederlagen. Die Prädestination des Kaisers ist noch nicht in allen Teilen erfüllt. Unsere Söhne werden, eben in dem Moment, wo sie die Früchte dieser Zeit genießen wollen, für die Sünden der Väter mit Leben oder Gesundheit, unsere Töchter mit Unfruchtbarkeit bezahlen müssen. Auch weiterhin wird sich die Verkündigung des alten Vischer erfüllen, wie sie sich zur Hälfte schon erfüllt hat: „Sehen Sie, die Deutschen können das Glück und die Größe nicht recht vertragen. Ihre Art Idealität ruht auf Sehnsucht. Wenn sie es einmal haben und nichts mehr zu sehnen ist, so werden sie frivol werden, die Hände reiben und sagen: Unsere Heere haben’s ja besorgt, seien wir jetzt recht gemeine Genuß- und Geldhunde mit ausgestreckter Zunge. Aber nehmen wir’s auch nicht zu schwer; eine anständige Minorität wird bleiben, eine Nation kann so was überdauern; es bedarf dann eines großen Unglücks und das wird kommen in einem neuen Krieg. dann werden wir uns aufraffen müssen, die letzte Faser daran setzen und dann wird’s wieder besser und recht werden.““