Jemand sprach von der souveränen Verachtung, die in Arbeiterkreisen solchen Nahrungsmitteln entgegen gebracht wird, die als Ersatz gelten. Die Zumutung, beispielsweise Gefrierfleisch oder Margarine zu essen und so ein erkleckliches Stück Geld zu sparen, wird nicht selten mit Entrüstung von der Hand gewiesen Auch sonst, z. B. in bezug auf Kleidung, Schuhwerk usw. ist dem Käufer aus den Kreisen, die als unbemittelt rubriziert sind, das Beste oft grade gut genug.
Die Erscheinung ist psychologisch einfach zu erklären. Sie beruht zu einem großen Teil auf dem Mißtrauen, das dem Arbeiter gegen den Kapitalisten eingeflößt ist. Der Rat zur Sparsamkeit ist ihm verdächtig: Sie wollen, denkt er, daß ich sparen, billig leben soll, damit sie mir weniger Lohn zu zahlen brauchen! - Das Resultat seiner Sparsamkeit ist in seinen Augen eine Bereicherung des Arbeitgebers, nicht eine Etappe, die er selbst auf dem Weg zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit zurücklegt.
Dazu kommt: Was der Arbeiter ißt und trinkt, was er seinem Körper irgendwie zuliebe tut, hilft zu dessen Aufbau, zur Erhaltung und Mehrung seiner Kräfte, also seines einzigen Besitzes. Er fragt gar nicht, ob Gefrierfleisch und Palmin denselben Nährwert haben, wie frisches Fleisch und Butter, sie sind eben nicht frisches Fleisch und nicht Butter, sondern Ersatz, sie kommen von Gott weiß woher, sind dazu billiger, also auch minderwertig. Jedem, der sie anpreist, nachweist, daß sie denselben Wohlgeschmack und denselben Gehalt an hochwertigen Nährstoffen haben, antwortet der Proletarier: Wenn sie so gut sind, wie Sie behaupten, so essen Sie sie doch selber, ich bin für das Echte, ich kann so gut mein Kotelett und meine Molkereibutter haben, wie „der Albe“. Daß ich arm bin, ist kein Grund, mich mit zweifelhaften Surrogaten abzuspeisen, während die guten Sachen auf den Tischen der Reichen stehen!
Das Mißtrauen gegen den Ersatz ist noch gesteigert durch die schlechten Erfahrungen, die das Volk im Krieg damit gemacht hat, und durch die Maßregeln, die die Behörden treffen müssen, um zu verhindern, daß dem Käufer das billigere exotische Produkt betrügerisch unter falscher Flagge angeschmiert wird. Aber das ist schließlich keine Schande z. B. für die Margarine, sondern es ist beschämend für den Verkäufer, daß man ihn solchen Betrugs für fähig hält. Richt die Pflanzenbutter steht unter polizeilicher Aufsicht, sondern der Händler.
Es gibt auch kluge Proletarier, die der allgemeinen Mißtrauenssuggestion nicht unterliegen, die intelligent genug sind, sich an einwandfreier Stelle über die in Frage stehenden Produkte zu erkundigen und die dem Anathema zum Trotz Gefrierfleisch und Palmbutter essen. Sie schimpfen vielleicht mit den andern darüber, aber ihre Frauen sparen wöchentlich einen starken Prozentsatz des Lohnes, indem sie billiger kaufen und mit den Ihrigen gar nicht schlechter leben. Vorurteile überwinden, heißt innerlich selbständig sein.
Man kann sagen, - um bei dem Beispiel der Margarine und des Gefrierfleischs zu bleiben - daß der Verbrauch dieser Lebensmittel in den Kreisen der Intelektuellen und Richtproletarier verhältnismäßig viel stärker ist, als in der Arbeiterwelt, weil man dort weiß, daß man sich mit dem auf Fleisch und Butter gesparten Geld Genüsse höherer Art leisten kann. Margarine als Molkereibutter essen und bezahlen tut niemand gern, aber wissentlich Pflanzen- statt Milchsett auf sein Brot streichen, sich physiologisch dabei ebenso gut stehen und das Geld für ein gutes Buch, für einen Theaterplatz, oder gar das Jahr entlang für eine schöne Reise heraussparen, das tut der innerlich Unabhängige, der Kluge, der Vornehme.
Wollte Gott, die Liebe zum Echten wäre im Volk überall so stark, wie da, wo es sich um Fleisch und Butter handelt.