Original

2. Februar 1921

Sollte man glauben, daß in unsern Tagen, wo eine ganze Weltordnung auf dem Spiele steht, ein Streit ums Latein entbrennen könnte! Ein Streit darum, ob unsere Söhne rosa rosae lernen sollen, oder the slate pencil und the inkstand, oder die Anfangsgründe aller Naturfächer, des Staatsrechts und der Handelskorrespondenz?

Ein Eiferer fürs Lateinische eilt im „Luxemburger Wort“ Herrn Professor Dr. Mathias Esch zu Hilfe, der im «Journal des Professeurs» für die Sprache Ciceros eine Lanze gebrochen hatte.

Der Lateiner im „Wort“ ärgert sich über die Reform, die die klassischen Sprachen im Programm unserer Gymnasien auf ein Pflichtteil beschränkt hat. Er spricht davon als von dem „Elukubrat beschäftigungsloser Schulmeistereinbildung“ und läßt jeden raten, in wessen Garten dieser Pflasterstein geschleudert wird. Es sind die, „die mit grimmiger Pose sich festlegen auf das Blech, das emporrasselt in dem Moment, wo sie die Nase in die Welt strecken“.

Dieser Lateiner ist offenbar konservativ bis in die Knochen, und nachdem er obigen Satz geboren hatte, muß ihm ungefähr zumute gewesen sein, wie einer frommen Jungfrau, nachdem der Teufel aus ihr herausgefahren ist. Ein Mann, der sich mit grimmiger Pose auf emporrasselndes Blech festlegt, ist keine banale Erscheinung, er ergibt ein Bild, das nur in einer überhitzten Phantasie entstehen kann.

Ohne es zu wollen, hat der konservative Lateiner hier eine der Ursachen einer Erscheinung verraten, über die er sich in seinem Artikel beklagt: Nämlich die Tatsache, daß in Frankreich die wissenschaftlich Gebildeten ihre Sprache nicht mehr beherrschen. Hierzuland kann man feststellen, daß nicht nur die wissenschaftlich, sondern auch die literarisch Gebildeten vielfach ein Deutsch schreiben, das sowohl grammatisch wie stilistisch und gedanklich direkt schülerhaft ist. Aber daran ist nicht nur der Fortfall der geistigen Gymnastik des Lateinunterrichts schuld, sondern in der Hauptsache ist der Grund in der allgemeinen Politik zu suchen.

„Verrückt!“ höre ich den konservativen Lateiner hohnlächelnd sagen. „Was hat die Politik mit Sprachunterricht zu tun?“

Aber das ist gar nicht verrückt. Der demokratische Rummel, der durch die Welt geht, ist auch in die Lehrer- und Schülerköpfe gefahren, die sich mit den Sprachgesetzen herumzuschlagen haben. Für die tollsten Sprachdummheiten, grammatische und syntaktische Fehler, Sünden wider den heiligen Geist der Sprache, wird eine allgemeine Amnestie erlassen, man nimmt sich jede Freiheit heraus und nennt sie poetische Lizenz, es gibt auf dem Gebiet der Sprache keine Ignoranten, keine geschmacklosen Verballhorner mehr, sondern nur noch geniale Neutöner. Man erlaubt sich Neubildungen, Zusammensetzungen, die jeder Norm ins Gesicht schlagen und dabei nicht einmal die Entschuldigung des Malerischen haben, man wurstelt in Bildern, die weder Kopf noch Schwanz haben, wenn sie nur „neu“ sind. Es kann nicht anders sein, als daß einem übel verstandenen Buchstil zulieb die Gesetzmäßigkeiten der Sprache ganz unverzeihlich vernachlässigt wurden. Denn ganze Generationen von luxemburger Gymnasiasten machen heute kaltlächelnd Fehler, bei denen einem die Haare zu Berg stehen. Und fast immer ist daran das Bestreben schuld, ein wohlklingendes, poetisch überhauchtes Buchdeutsch zu schreiben, originelle Bilder und vornehme Wendungen zu gebrauchen. Einer schreibt z. B., ohne mit der Wimper zu zucken: Die Stadt, wo Goethe geboren, Schopenhauer gelebt hat! Aus Mangel an regelrecht gebildetem Sprachgefühl, in dem krankhaften Bestreben, seine Prosa durch die Anwendung einer poetisch klingenden Elision vornehmer zu färben. schreibt man ruhig eine komische Ungeheuerlichkeit hin.

Man braucht nicht ein Gegner, kann sogar ein begeisterter Freund des Lateins sein und doch finden, daß ein bißchen strammere deutsche Grammatik ebenso wohltätigen Einfluß auf das Deutsche hätte, wie Griechisch und Latein.

Ein besonderes Hühnchen aber wäre mit dem konservativen Lateiner zu rupfen, weil er das Englische eine rudimentäre Sprache nennt, aus der in sormaler Hinsicht nichts zu holen ist.

Doch davon später.

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    Katalognummer BW-AK-009-1834