12. Februar 1921

Die Arithmetik oder Rechenkunst ist eine sehr schöne Kunst.

Ein gewiegter Rechenkünstler ist imstand, Ihnen zu beweisen, daß Sie 50 000 Fr. im Jahr verdienen bei einem Monatsgehalt von 250 Franken, und umgekehrt, daß Sie am Bettelstab sind, trotz einem Einkommen von einer halben Million jährlich.

Die einschlägige Literatur kennt eine Anzahl solcher amüsanten Rechenexempel. Ein freundlicher Leser hat ein weiteres Taschenspielerstückchen derselben Art in einer amerikanischen Zeitung entdeckt und mir zur Verwendung eingeschickt.

Ich überlegte mir eine Zeitlang, ob ich wirklich davon Gebrauch machen sollte. Es könnte nämlich als Ausfall gegen den Achtstundentag gedeutet werden, und dann käme ich wieder in des Teufels Küche. Aber ich schlug das Bedenken nieder und laufe der Wissenschaft zulieb die Gefahr, als Volksfeind gebrandmarkt zu werden.

Also: Ein junger Bankbeamter, der zum Prinzip hatte, nichts im Leben zu übertreiben, namentlich nicht das Arbeiten, trat an seinen Prinzipal mit dem Gesuch um höheres Salair heran.

Der „Alte“ sah sich seinen jungen Landsmann von der Sohle bis zum Scheitel an, fand, daß er im übrigen nicht übel aussah, aber hatte ihn sofort richtig katalogisiert.

„Junger Mann,“ sagte er, „Sie wissen, daß in meiner Bank, oder in meiner Wucherbude, wie Sie unter Sich sogen - doch doch, ich weiß es, ich war auch einmal jung - der Achtstundentag grassiert.“

„Jawohl,“ entgegnete der junge Bankbeflissene und ahnte schon leise, wie es weiter gehen würde.

„Nun gut. Das Jahr zählt 365 Tage.

Sie arbeiten acht Stunden pro Tag. also ein Drittel der Zeit. macht auf das Jahr ein Drittel von 365 oder gleich 121 Tage.

Das Jahr hat in jeder Woche einen Sonntag, im ganzen 52.

Von den 121 Tagen bleiben also noch 69.

Wir schließen Samstags, englisch. macht für Sie jeden Samstag wieder einen freien Nachmittag, oder 52 halbe. ist gleich 26 ganze Ferientage. - Von den obigen 69 Arbeitstagen bleiben also nur noch 43.

Sie haben jeden Tag während der Arbeit eine Stünde Luncheon-Zeit, denn der Mensch muß essen. Aufs Jahr macht das 13 Tage. 43 weniger 13 macht 30.

Rechnen Sie von diesen 30 Arbeitstagen Ihre zwei Wochen jährliche Ferien ab, so haben Sie noch 16 Arbeitstage.

Gesetzliche Feiertage gibt es im Jahr bei uns 12. Die 16 Arbeitstage schmelzen demnach auf 4 zusammen.

Und mindestens 4 Tage im Jahr sind Sie doch auch krank gemeldet. 4 von 4 bleibt 0. Also ausgerechnet null Tage, null Stunden und null Minuten arbeiten Sie bei mir alljährlich!

Und mit diesem Fazit kommen Sie und verlangen von mir auch noch mehr Salair! Mann, Sie sind ja glatt verrückt!“

Der angehende Bankier stand da, wie wenn ihm jemand ein nasses Tuch um die Ohren geschlagen hätte. Dann tastete er sich rückwärts nach der Türe, schloß sich zuhaus in seinem Zimmer ein und versuchte, die Rechnung falsch zu machen.

Dies gelang ihm nach längerem Nachdenken. Aber seine Stelle an der Bank gab er auf und wurde Filmschauspieler.