Jetzt ist der erste Hauch des Frühlings in den Lüften. Ob es sonnt oder schneit. Du spürst den Atem des Frühlings. Er weht sogar über das Pflaster der Stadtstraßen, aber die Menschen dort wissen nichts damit anzufangen. Sie schnüffeln in die Luft und sagen: Es ist ein Schnupfenwetter. Wenn auch. Ein rechter Frühlingsschnupfen ist eine Gabe Gottes. Hazi!
Ist Dir nicht aufgefallen, daß seit Wochen die Sonntage durch die Bank Sonnentage waren? Die Woche hindurch stürmte und regnete es, Sonntags war früh morgens der Himmel blau von einem Horizont zum andern und weiße Wölkchen zogen durch das Blau wie kleine tüllüberschleierte Mädchen am Kommunionstag. Montags aber war die Herrlichkeit wieder vorbei, die weißen Wölkchen waren weggepackt, damit sie über acht Tage noch hübsch frisch seien, und über die blaue Festgarnitur war ein grauer Überzug gespannt, wie über die Möbel in der guten Stube, wenn die Herrschaft ins Bad gereist ist.
Solch ein Sonntag war z. B. der letzte. Als ich daheim beim Gartentor herausging, standen die Hyacinthen und taten ihre drallen Blätterfingerchen auseinander und zeigten mir die knolligen Blütenträubchen, die sie in der Hand nach der Sonne hielten. Ich schalt sie und sagte: Ihr unvorsichtige Dinger, laßt Ihr Euch schon wieder von dem Schwerenöter Frühling vor der Zeit herauslocken! Aber sie kicherten und antworteten: Das hast Du schon voriges Jahr gesagt, und damals haben wir frisch fromm fröhlich vom Februar an durchgeblüht und es war gar kein Leim. - Na meinetwegen, mir ist es ja auch am liebsten, die Herrlichkeit fängt so früh wie möglich an und dauert so spät wie möglich. Schon wegen der teuern Heizung .....
...... Und die öslinger Dörfer lagen weiß leuchtend auf den Rücken der violettbraunen Berge, die Sauer war blauer Atlas, und die Erde „dampfte erquickenden Geruch“. In den Städten legten sie die Maskenanzüge für den Abend zurecht und hatten sich mit den kleinen Aufgeregtheiten des Mummenschanzes. Draußen aber lagen die Äcker weit und empfängnisfroh unterm Himmel. Und ein Pflug stak mitten im halb gepflügten Feld, wie ihn abends das Gespann verlassen hatte. Es war uralter Kulturboden, aus dem Menschen schon vor über tausend Jahren zogen, was sie zum Leben brauchten. Die Erde und der Pflug sind immer die alten geblieben, sagen sie. Die Menschen auch, dächte ich. Oder war es nicht schon vor Jahrtausenden so, daß der wiederkehrende Frühling die Menschen aus dem Häuschen brachte?
Das Merschertal entlang ragt da und dort ein Ehrenbaum für einen Bürgermeister oder Schöffen über die Dorfdächer. Man macht sich in die Frühlings- lust hinein so seine Gedanken über diese Symbole der Politik, die hochmütig einen bändergeschmückten Wipfel emporrecken, aber keine Wurzeln im Boden haben.
Und bis an die Feulener Höhen hinauf liegt das Tal voll milchig durchsonnten Silberdunstes, eine wunderzarte Grisaille hinter dem hohen Gitter der Pappelreihe von Lorentzweiler. Die Sonne arbeitet mit Lust und Liebe an ihren Effekten. Fast als hätte sie Gewissensbisse, daß sie uns damals im Herbst so schnöde verlassen hat.
Ich glaube überhaupt, daß dies Verhältnis der Sonne zu uns auf einem Mißverständnis beruht. Ich glaube, daß es der Sonne nur um die Schönheit, um das Blühen, nicht um die Materialität des Einheimsens zu tun ist. Sie steigert das Leben in der Natur bis zu seinem Höhepunkt, bis zur großen Blütezeit, zur Empfängnis, zum Hosiannah der Schönheit, wo die Welt voll Duft und Farbe und Berauschtheit ist. Damit will sie Schluß machen, das müßte jetzt immer so bleiben. Aber es geht ihr nicht nach dem Willen, der Mensch verlangt nach der Blüte die Frucht, nach der Saat die Ernte und dazu gebraucht er das Sonnenfeuer. Er kocht daran seine Töpfe, und das nimmt uns die Sonne krumm. Denn sie ist wie die Liebe, von der Dicks sagt: D’ Le’ft, mei Kand, dat aß e Feier, dat nach keen Döppe kachen huet gedon.
Weil die Sonne also sozusagen zur Köchin erniedrigt wird, wo sie doch nur als Zauberin zu uns kommen wollte, darum zieht sie sich am Ende mürrisch zurück und geht monatelang grollend an uns vorbei. Nur manchmal wirft sie einen Blick herüber, sieht uns fröstelnd mit roten Nasen herumtrippeln, und schließlich tun wir ihr leid. Sie will wieder einmal versuchen, ob sie uns nicht bei dem Zauber der Blütezeit festhalten kann. Aber die Erde und wir enttäuschen sie immer wieder und wollen immer wieder nach dem Halleluja der Blüten das Te Deum der Früchte und Garben singen.
Ein Glück für uns, daß die Sonne einen so guten Charakter hat.