Original

22. Februar 1921

J. P. Erpelding schenkt uns seinen dritten luxemburger Roman: „Heiße Sommertage, eine erdichtete Geschichte aus dem Ösling“.

Man hat Clara Viebig den deutschen Zola genannt - weil man weder Clara Viebig noch Zola verstand.

Erpelding aber ist unstreitig als der luxemburger Zola anzisprechen, toute proportion gardée, natürlich. Zola’sche Gewalttätigkeit spannt seine Sätze, Zola’scher Rhythmus bewegt sie derart, daß sie manchmal ganz von selbst auf französisch mitklingen.

Als erster Roman von einem Luxemburger wäre dies Buch ein Ereignis gewesen, vielleicht noch in stärkerem Maß, als „Bernd Bichel“. So ist es nur eine Bestätigung, für manchen vielleicht eine Enttäuschung. Erpelding steht auf so breiter Grundlage, daß er eine ehrliche Kritik verträgt. Und ehrlich gesagt, seine erdichtete Geschichte aus dem Ösling geht am Hauptwesenszug der Öslinger vorbei. Denn der Öslinger ist nicht der rohe, strotzende, vulkanische Kraftmensch, als den Erpelding ihn malt, er ist ein spekulativer Kopf, jahrhundertelang durch enge Daseinsbedingungen zum Spintisieren u. Räsonieren veranlagt.

Sodann lockt der einseitige Hang zum Grausigen, zur düstern Bauerntragödie den Verfasser zu Übertreibungen, die gradezu karikaturistisch wirken. Schon die beiden ersten Menschen, die man kennen lernt, sind dadurch merkwürdig, daß der eine blödsinnige Kinder hat und des andern Vater im Misthaufen und Branntwein erstickt ist. Es folgt eine Totenwacht mit Einzelheiten, die einem noch bei der Erinnerung Brochreiz verursachen. Menschen wuchern, Ortsbezeichnungen jagen und häufen sich derart, daß man das Bedürfnis hat, nach Personenverzeichnis und Landkarte zu greifen, um folgen zu können, weil das alles nur Staffage ist. Der eigentliche Held des Buches ist der Hungerhof, auf dem der Großvater sich erhängt hat, der Vater Schnapstrinker und Mörder, die Mutter Ehebrecherin, der Sohn eine Frucht dieses Fehltrittes ist. Er geht an einem übeln Wirtsmädel zugrunde und wird als Raubmörder verhastet. Im selben Moment knüpft sich der Vater in der Scheune auf. Auf ähnlichem ethischem Niveau steht so ziemlich das ganze Dorf, bis auf eine Familie namens Sun- nen. Eine Karikatur ist gewissermaßen auch der Nietzsche-Dilettant Kilemes, der ein wenig mephistophelisch wirken soll und durch die Absicht verstimmt.

Erpelding sieht das Landleben bedauerlicherweise immer nur und immer wieder aus dem engen Gesichtswinkel, aus dem sein „Bernd Bichel“ gesehen ist. Solche Betrachtungsweise mag Stoff zu einem starken Kunstwerk liefern, aber wenn dasselbe Thema immer wieder abgewandelt wird, erschöpft sich das Interesse daran.

Auf jemand, der die früheren Bücher Erpeldings nicht kennt, wird dieser neue Roman seine starke, elementare Wirkung nicht verfehlen. Grade aber, weil der Eindruck von „Bernd Bichel“ so nachhaltig war, ist daneben wenig Platz für neue Schicksale derselben Art.

Was aber an den „Heißen Sommertagen“ unübertroffen ist, das ist die Schilderung, die aus unerschöpflichen Tiefen kommt. Hier wird Erpelding der Formel des Naturalismus in seltener Reinheit und Vollkommenheit gerecht. Er hat entweder ein phänomenales. Augengedächtnis, oder er bringt von jedem Spaziergang ganze Notizbücher voll nachhaus. Kein Satz fast, der nicht durch irgend eine feine Anschaulichkeit auffällt. Jede Einzelheit ist typisch, ohne Klischee zu sein. Erpelding hat ein wunderbares Auge für Vorgänge. Bewegungen, Erscheinungen, die charakteristisch wirken und die sich nicht hinter dem Schreibtisch erfinden lassen. „Das Mädchen raffte eilig die Blumen aus dem Brunnen, legte sie ins Gras. Gelbe und weiße und blaue Blütenkelche schwammen oben auf und trieben leise im Zuge des Wassers fort.“ Das fällt keinem so bildhaft ein, wenn er es nicht gesehen hat.

Hier ist eines unserer stärksten Talente an einer einseitigen Arbeit, treibt sich im Kreis herum. Erpelding muß aus dieser engen Vorstellungswelt heraus, muß neue Menschen in seinen Gesichtskreis ziehen. Er braucht darum die bäuerliche Umwelt nicht zu verlassen. Aber es gibt draußen auch Menschen und Dinge, die nicht roh und unappetitlich oder einem düstern Geschick verfallen sind. Es gibt draußen heitere Schönheit und Humot und Glück, und es wäre eine köstliche Bereicherung für unser heimisches Schriftum, wenn Erpelding auch einmal dieser Seite des Bauernlebens sein Schilderertalent widmen wollte.

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    Katalognummer BW-AK-009-1849