Kürzlich begleitete mich ein junger Mann meiner Bekanntschaft, der sich stark für Literatur interessiert, auf einem Spaziergang. Wir sprachen von moderner Dramatik, und er vertraute mir an, daß er sich mit dem Plan eines bürgerlichen Trauerspiels trage. Es sei ihm aufgefallen, daß ein Süjet, das nach dem Krieg sozusagen auf der Straße lag, noch gar nicht verwertet worden sei: die häufige Tatsache nämlich, daß Männer im Krieg verschollen seien, deren vermeintliche Witwen einen andern nahmen und die nach Friedensschluß plötzlich wieder auftauchten.
Der junge Mann sagte mir auch, wie sauer es ihm werde, den tragischen Konflikt zu konstruieren, und wir suchten gemeinsam zu ergründen, worauf dies und jenes beruhte.
Daß der Stoff bis jetzt noch keinen Verarbeiter gefunden hat, der seiner würdig wäre, liegt wahrscheinlich an der allgemeinen Kriegsmüdigkeit. Man hat vom Krieg und zumal von seinen Begleiterscheinungen derart genug, daß man ungeduldig von ihm fort in eine bessere Zukunft strebt. Nur was sich ihm und der Rachkriegszeit Satyrisches und Komisches abgewinnen ließ, reizte die Bühnenschriftsteller. Vielleicht sparen sie sich die schwereren Brocken für später auf.
Daß aber das alte Flibustier-Thema keinen tragischen Klang mehr geben will, ist eine Tatsache, die nicht mit dem Krieg, sondern mit dem Zivilgesetzbuch und mit der Versachlichung der modernen Psyche zusammenhängt. Um es kurz zu sagen, die Erleichterung der Ehescheidung hat die Dramatiker um alle Konflikte gebracht, denen sich früher, die heftigsten Wirkungen abgewinnen ließen. Setzen wir einen konkreten Fall: Eine junge Frau war bis zum Krieg mit ihrem Mann glücklich, sagen wir sogar sehr glücklich, so glücklich, daß sie sich kein größeres Glück ausmalen konnte. Lassen wir es der Einfachheit halber bei dieser Stellung des Problems. Es wären ja allerhand Varianten möglich: Glücklicher Mann, glückliche Frau. Glückliche Frau, unglücklicher Mann. Glücklicher Mann. unglückliche Frau. Unglückliche Frau, unglücklicher Mann. Setzen Sie statt glücklich oder verliebt den Begriff gleichgültig, so ergeben sich wieder so und soviel weitere Verschiebungen. Aber bleiben wir, wie gesagt, bei dem denkbar einfachsten Verhältnis.
Der Mann muß in den Krieg, wird als vermißt gemeldet, bleibt Jahre lang verschollen, die Witwe heiratet einen andern, und eines schönen Tages erscheint der erste wieder auf der Bildfläche.
Was nun? Wären die neuen Gätten unlöslich verkettet, so könnte von den drei Personen des Spiels mindestens eine auf ewig unglücklich werden. Für ein anständiges Trauerspiel reicht das aus. Wahrscheinlich aber wären es zwei, möglicherweise drei.
So aber hat man das Mittel an der Hand, den Bund zu lösen und das neue Verhältnis sich nach den frei wirkenden Gesetzen der Anziehungskraft bilden zu lassen.
Sehen Sie, wie die Gesellschaft bestrebt ist, die Tragik, die in menschlichen Einrichtungen begründet liegt, allmählich aus der Welt hinauszuschaffen? Das größte Leid, das die Menschheit erdulden mußte, hat sie sich jederzeit selber zugesügt. Man sollte einmal hingehen und alle Tragödien der Weltliteratur darauf untersuchen, wodurch die Menschen darin unglücklich werden: In fünf und neunzig Fällen von hundert liegt der Grund des Unglücks in einer menschlichen Einrichtung, die sich bei einigem guten Willen sofort abschaffen ließe, manchmal durch einen Federstrich.
Wir haben oft den Willen, aber selten den Mut zum Glück.