„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.“ Das ist so wenig in jedem Falle wahr, wie daß umgekehrt jeder, dem Gott Verstand gibt, auch zum entsprechenden Amt gelangt. Manchmal braucht es nicht viel Verstand und nur ein bißchen Schläue, um zu allerhand Ämtern zu gelangen. Gestern hörte ich ein hübsches kleines Geschichtchen, das, dies bestätigt. Es ist eines der typischen Geschichtchen, die einmal wirklich passiert sind und die dann nach Bedarf bald diesem, bald jenem angehängt werden. Sie passen, wie Narrenkappen, auf jeden Kopf, sobald das Gesicht sich dazu eignet.
Meine Geschichte hat diesmal in der Hauptsache zwei Personen: Einen hochmögenden Herrn, den wir Paul, und einen schlauen Mann, den wir Peter nennen wollen.
Paul hatte einen guten Weinkeller und eine vorzügliche Köchin. Er war Junggeselle und lud sich manchmal von der Straße weg Bekannte, die ihm in die Quere liesen, zu Tisch, um mit ihnen über Menschen und Dinge des Tages weise Rede zu pflegen.
Unter den Geladenen befand sich eines Tages Peter nebst andern Bekannten Pauls.
Paul war in seiner Weinprobierlaune und sagte: „Meine Herren, ich habe noch ein Dutzend Flaschen eines ganz besondern Gewächses. Wir probieren eine Flasche, und wer richtig rät, was es ist, bekommt die elf andern geschenkt.“
Peter stand auf vertraulichem Fuß mit dem Diener des Hausherrn, und ohne daß es jemand merkte, raunte ihm der Diener zu: Wormeldinger 1865.
Die Probe begann. Gläser wurden bedächtig an Nasen gehoben, Zungen schnalzten, Augen drehten sich gegen Himmel, Adamsäpfel gingen auf und nieder, Schlücke glitten Schlünde hinab, hm hm! klang es wägend und zweifelnd um den Tisch. Einer riskierte: „Piesporter, sehr alt, Jahrgang unbestimmbar,“ ein anderer sagte: „Erinnert an Erdener Treppchen, mit Rheinweincharakter,“ ein dritter ließ augurenhaft das Wörtchen „firn“ fallen, ein vierter sagte etwas von „sehr hochtönig“, ein fünster meinte, ob nicht etwa eine Idee von Pfälzer mit dabei wäre usw. Peter nahm bedächtig einen Schluck, zerkaute ihn kritisch, bevor er ihn in die Unterwelt schickte, damit sich das Bouquet recht entwickle und das edle Raß mit allen Geschmacks- und Geruchsnerven recht lebhaft in Berührung komme, trank, nahm einen zweiten Schluck, roch mit tiefem Ernst an dem Rest, der im Glas geblieben war, und sagte dann in die tiefe Stille hinein: „Für mich ist das ganz einfach Wormeldinger 1865er.“
Große Aufregung. Paul machte: „Pscht! Einen Moment, meine Herren! Es ist tatsächlich Wormeldinger 1865er. Aber nun möchte ich wissen, woran unser Tischgenosse Peter das erkannt hat.“
Peter fagte, das sei sehr einfach, das lasse sich nicht erklären, der Wormeldinger an sich habe ein besonderes Bouquet und der Wein von 1865 habe wiederum einen ganz speziellen Ton, das müsse man eben an sich haben, das lasse sich nicht definieren.
Damit war Peters Glück gemacht. Er kam zunächst in die Weinbaukommission, dann in die Ackerbaukommission, die Handelskammer, in den Staatsrat, in das Kuratorenkollegium des Athenäums, in das archäologische Institut, in den Verwaltungsrat der Grundlreditanstalt, in die Verwaltungskommission der Gesängnisse, in sämtliche Kommissionen des Landes, er bekam gleich das Offizierskreuz der Eichenlaubkrone, den Adolphorden, den Roten Adler, den Nischan-i-Istichar, die akademischen Palmen, den Wasa-Orden, den Orden vom Goldenen Vließ, den Orden des heil. Januarius, den Kava-GeorgiewitschOrden, den Orden des Weißen Elefanten von Siam, die Königin Draga-Medaille, das SchwarzburgNudolstadt und Sonderhausen’sche Ehrenzeichen für Feuerwehrmitglieder, den sächsischen Hausorden der Rautenkrone, den Orden des hl. Wladimir-Soichdir, den persischen Nichan i Schir wa Churschid-Orden, den Orden pro Eeelesia et Pontifice, den norwegischen Orden des hl. Olaf-Dechwarm, den Danilo-Orden von Montenegro, den merikanischen Orden U. L. F. von Guadeloupe, den japanischen Chrysanthemum-Orden, den englischen Distel-Orden, den hawaiischen Kalakaua-Orden, den chinesischen Orden des doppelten Drachen und den dänischen Orden des alten Elefanten.
Außerdem wurde Peter zu den Hofbällen eingeladen, hatte die Ehre, von einem fürstlichen Gast bei einer Treibjagd hinaufgeschossen zu werden u. erhielt schließlich den schmeichelhaften Auftrag, während einer Weltausstellung in Amerika die luxemburger Presse zu vertreten.
Seither hat man nie wieder etwas von ihm gehört.