Original

27. Februar 1921

Gestern morgen war ich Zeuge einer allerliebsten Kinderszene. Drei Bübchen und ein Mägdlein, die zusammen kaum über zwanzig Jahre zählen mochten, waren auf der Wiese damit beschäftigt, ein Feuerchen zu machen. Sie hatten irgendwo eine alte Pappschachtel gefunden und sie mit Reisig und Papierschnitzeln und Stroh voll gestopft. Der größte von den Knirpsen hatte das Kommando übernommen. Jetzt packte er seine Spielgenossen bei den Armen und wies sie an, sich dicht um die Schachtel herumzuhocken. Das kleine Mädchen schrie vor Vergnügen und machte schugg schugg, wie die Kinder machen, wenn etwas ganz Wunderbares geschehen soll. Der Anführer zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Hosentasche - die andern sahen ihm dabei mit Blicken der Bewunderung und des Neides zu -, machte Feuer und hielt das Flämmchen an das dürre Reisig. Blaue Rauchkringeln stiegen hoch, die zwei andern Bübchen sprangen auf, zogen ihre Kappen und fachten damit wie verrückt auf den winzigen Scheiterhaufen los. Ihre Mama hätte laut geschrieen, wenn sie sie gesehen hätte. Sie weiß sich so schon nicht zu erklären, warum die Kappen ihrer Büben jeden Abend aus der Façon geraten sind.

Das kleine Mädchen aber tanzte begeistert und jauchzend um die züngelnden Flammen herum, während die Buben nach getaner Arbeit sich still und ernst des Schauspiels freuten.

Wenn man der Seele der Urmenschen nahe kommen will, muß man einfach erzogene, unverbildete Kinder beim Spiel beobachten. Das Wunder „Feuer“ wirkte auf diese vier, wie es wahrscheinlich auf die Menschen der Zeit gewirkt hat, in der die Prometheussage wurzelt. Diesen Kindern war zumut, wie wenn sie aus eigener Kraft ein Lebendiges in die Welt gesetzt hätten. Das Feuer gehörte dem Menschen erst von dem Augenblick an, wo er es nach seinem Willen erzeugen konnte. Schon früher hatte er es angstvoll angebetet als eine Gottheit, die in ihrem Zorn aus den Wolken fuhr, um den Menschen und sein Werk zu zerstören. Und dann wurde er stärker, als die Gottheit und sie wurde seine Dienerin.

Immer noch sreuten sich die Kinder an den züngelnden Flämmchen, wie an einem seltsamen Tier, das sie verbotenerweise aus dem Stall gelassen hätten.

Da brachte mir der Briesträger meine Mitgliedkarte vom Feuerbestattungsverein. Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen. Die roten Flammen, die sich nach dem Wind bogen, bekamen plötzlich für mich eine faszinierende Bedeutung. „Du gehörst uns!“ sagten sie. „Eines Tages werden wir dein sterblich Teil dem Raum geben, werden den Rest, der von dir zurückbleibt, unsichtbar machen bis auf eine Handvoll Staub, und du wirst so groß werden, wie die Luft und die Wälder und das Meer und der Himmel, du wirst wieder überall, weil nirgends sein. Durch uns rote Flämmchen!“

Ich freute mich der Karte, die ich in der Brusttasche barg.

Und ich dachte, wie mir wohl zumute gewesen wäre, wenn ein paar Leichenwürmer mir von derselben Perspektive geredet hätten.

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    Katalognummer BW-AK-009-1854