Original

3. März 1921

Herr Viktor Lauth, Fährmann in Stadtbredimus, schickt uns eine Entgegnung auf eine Zuschrift des Bürgermeisters von Palzem, Herrn Steinbach Unsere Leser wissen, worum es sich handelt. Herr Lauth war in seinem Nachen mit Steinen von Palzener Burschen beworfen worden, er behauptet, der Herr Bürgermeister habe untätig zugesehen und sich entfernt, ohne einzugreifen, Herr Steinbach stellt die Behauptung des Herrn Lauth in Abrede, und dieser bleibt in der letzten Zuschrift bei seiner ersten Aussage. Es steht also Behauptung gegen Behauptung, und bei näherer Betrachtung stellt sich der Fall als einer von den vielen dar, bei denen beide Parteien rech haben können. Es ist eine Frage der Parallaxe. Je nachdem, wie man steht, sieht die Sache so oder so aus.

Wir geben Herrn Lauth Akt von seiner Erklärung, können aber seine Zuschrift nicht veröffentlichen, weil ein Dritter hereingezogen wird, der nichts für die Polemik kann und für den die Sache unangenehme Folgen haben könnte.

Nachdem so beide Parteien zu Wort gekommen sind, sei mir als Unparteiischem gestattet, mich in versöhnlicher Absicht einzumischen. Denn die Aufgabe der Presse ist es nicht, den Streit zu schüren, sondern zu beschwichtigen.

Es ist leider Tatsache, daß die ganze deutsche Grenze an der Mosel und Sauer entlang - mit wenig Ausnahmen - seit dem Krieg in das Verhältnis der beiderseitigen Bewohner zueinander eine Feindseligkeit und Schärfe gekommen ist, wie sie früher nicht bestand.

Jeder weiß zu sagen, woher sie stammt, aber niemand kann erklären, was sie rechtfertigt.

Solange das Kriegsglück nach deutscher Seite zu neigen schien, herrschte bei unsern jenseitigen Grenznachbarn ein Übermut, der eine scharfe Spitze nach uns herüber enthielt. Für die meisten drüben war es ausgemacht, daß es mit unserer Selbständigkeit Matthäi am Letzten sei und daß wir binnen kurzem die Zahl der Mußpreußen um eine Viertelmillion vermehren würden. Herüben sträubte man sich dagegen, wie rechtens. Dann kam der Zusammenbruch, und aus dem Übermut wurde Auflehnung, aus der Angst Mutwille.

Aber das waren Gefühle, denen nichts Dauerndes zugrunde lag. Wir hatten von drüben nichts mehr zu fürchten, und die drüben wußten, daß wir an ihrem Unglück nicht schuld waren. Wir hatten vor uns eine Bevölkerung, die schwer unter dem Krieg gelitten, ihre Söhne, Gatten und Väter verloren, bestenfalls Jahre lang entbehrt hatte, die unter Mißbrauch der heiligen Vaterlandsliebe in einen Krieg gedrängt worden war, der auf das Schuldkonto internationaler Machthaberei kommt, und die jetzt moralisch und materiell für die Schuldigen büßen mußte.

In unsern eigenen Grenzdörfern aber lebt ein Volk, das mit den Nachbarn von drüben menschlich, wenn auch nicht politisch solidarisch ist, Bauern und Winzer, die einer wie der andere in schwerer Fron stehen und wahrhaftig keinen Grund haben, sich gegenseitig das Leben noch schwerer zu machen. Und wie gesagt, solange sie Mann bei Mann stehen, ist von Feindschaft nichts zu merken. Wohl kommt es zuweilen zu harmlosen Hänseleien, aber individuell bleibt man gut Freund. Nur wenn es dazu kommt, daß man sich als Ganzes empfindet, daß die Einzelnen sich durch den nationalistischen Kitt zusammengeklebt fühlen, dann zischt manchmal die Stichflamme jenes Hasses, der nicht zu sein bräuchte. Man hilft sich aus bei der Arbeit, eilt mit Mann und Spritze herbei, wenn es beim andern brennt, und steinigt und prügelt sich, wenn man durch den Menschen hindurch auf einmal den Fremden sieht.

Ich dächte, mit diesen Grenzhäkeleien könnte man endlich Schluß machen. Ihr Bauern seid die allerletzten, die den Haß von Volk zu Volk schüren helfen sollten. Für jedes Volk sitzt der Feind heute nicht außer- sondern innerhalb der Grenzen.

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    Katalognummer BW-AK-009-1857