Er hieß ganz einfach Jang, mit weichem j. sie ganz einfach Lisy, mit weichem s.
Er war vom Land herein in die Stadt verschlagen, Schreiber bei einem Advokaten, 175 Fr. Monatsgehalt.
Sie war Verkäuferin in einer Delikatessenhandlung und gebörte zu dem Appetitlichsten, was in dem Laden zu sehen war. Auch ihre Wiege hatte draußen in ländlicher Umgebung gestanden.
Jang und Lisy kannten einander nur vom Ansehen. Er blieb manchmal vor ihrem Schaufenster stehen, wenn sie drinnen grade ein Stück Roquefort oder einen Hummer verwog, sie fand zwischendurch immer Zeit, dem jungen Mann draußen einen Blick zuzuwerfen. Aber keines wußte, wie das andere hieß. Jang wußte über die gesellschaftliche Einreihung Lisys Bescheid, weil er sie hinterm Ladentisch sah, sie hatte ihn edenfalls rubriziert, weil er offenbar niemals Geld oder nicht den Mut hatte, sich in ihrem Laden etwas zu kaufen.
Es kam der Fasching.
Da beschloß jedes der beiden, wenigstens eine Nacht lang auf den Höhen des Lebens zu wandeln.
Jang nahm von seinem mütterlichen Erbteil und von seinem Monatsgehalt, soviel er seiner Schätzung nach brauchte, um als vornehme Maske aufzutreten. Er ließ sich aus helllila Seide einen Pierrotanzug mit weißen Tupfen bauen. Helllila galt ihm als die vornehmste Farbe, darum besaß er schon ein helllila seidenes Taschentuch, das er Sonntags mit einem Zipfel aus der Brusttasche seines Rockes heraushängte.
Lisy nähte sich ihrerseits eine Colombine aus weißem Atlas, auf dem sie große helllila Oblaten befestigte. Sie sah darin wirklich aristokratisch aus. „Unnahbar!“ dachte Jang, als er sie zuerst im Kasino kreuzte.
Das dritte Mal, wo sie sich begegneten, faßte er sich ein Herz und sagte: „Bonjour Colombine.“ Sie sagte: „Bonjour Pierrot.“ Darauf er: „Dies ist das dritte Mal.“ Und sie: „Oh, haben Sie gezählt?“ - „Jawohl. Sie müssen etwas zum besten geben.“ - „Bitte sehr, ich bin nicht Ihnen begegnet, sondern Sie mir.“
Jang fühlte die drei Fünfundzwanzigfranescheine in seiner Brusttasche brennen, hüpfen, sich krümmen und winden. Aber er wußte wahrhaftig nicht, ob er dieser artasseidenen Colombine, die ganz sicher den oberen Zehntausend angehörte, ein Glas Champagner anbieten dürfte. Schließlich wählte er den goldnen Mittelweg und frug sie, ob sie ihm einen Foxtrott schenken wolkte.
„Ich tanze nicht.“ sagte sie schnippisch. Das bestärkte ihn in seiner Abschätzung. Aber sie hatte ihm den Foxtrott nur deshalb abgeschlagen, weil sie nicht tanzen konnte. Zuhaus hatte sie keine Gelegenheit und in ihrer Stelle keine Zeit zum Lernen gehabt. Und sie wollte sich vor dem vornehmen Pierrot nicht blamieren. Denn etwas Vornehmes war er ganz sicher. Er war einer der wenigen Herren, die ihre Hände im Zaum zu halten wußten, sie dachte vage an etwas wie Direktor irgend einer Arbed, Sacha, Sogeco, Hadir usw.
„Warum tanzen Sie nicht?“ riskierte Yang eine Frage, die er sofort als indiskret bereute. - „Ich bin zu müde,“ sagte sie. - „Oh, dann wollen wir uns ein wenig setzen.“
Als sie in einer traulichen Ecke gräde zwei Plätze frei gefunden hatten, frug der Kellner, ob die Herrschaften schon bestellt hätten, und reichte Jang zugleich die Weinkarte. Jang wählte mit Kennermiene eine billige Marke und erklärte seiner Maske lebemännisch, den Champagner, den dürfe man nicht nach dem Preise trinken, der billigste sei oft der beste, und sie sagte: O ja, das ist auch wahr.“ Und später: „Der ist aber auch wirklich sehr gut.“
Nach dem ersten Glas fand sie, daß der Herr Direktor im Grunde genommen sehr leutselig sei, und er bewunderte immer mehr die heitere Ungezwungenheit, mit der eine junge Dame von feiner Erziehung sich gehen lassen kann, ohne trivial zu werden.
Um drei Uhr morgens, als Jang seinen letzten Fünfundzwanzigfrancschein gewechselt hatte, sagte Colombine: „Pierrot, was würdest Du von mir denken, wenn Du wüßtest, daß ich ein ganz gewöhnliches Mädchen bin.“
Und er sagte: „Hättest Du mich weniger lieb, wenn ich Dir sagte, daß ich als kleines Schreiberlein mein Brot verdiene?“
„Nein!“ sagte sie innig und hob das Seidenläppchen ihrer Maske so hoch, daß er sie auf die dargebotenen Lippen küssen konnte. Er hob die Maske noch höher und erkannte sie mit einem Jubelschrei.
„Gelt, Du bist es!“ sagte sie ahnungsvoll. Er nahm seine Maske ab. Da atmete sie tief auf und sagte: „Endlich! Und ich dumme Gans habe immer gemeint, Du bist ein Direktor!“
„Und ich habe Dich immer für das feinste Porzellan gehalten.“
Da nahmen sie ihre Masken einstweilen wieder vor und waren rückhaltlos glücklich.