Rrrrrrididjidjidjidjiu-didjiu! Auf dem Apfelbaum, auf dem Birnbaum, auf dem Kirschbaum, auf dem Pflaumenbaum, auf dem Zwetschgenbaum, überall zwitschert es rrrrrrridjidjidjidjiu. Schon in aller Früh. Jetzt hängt die blanke Sonntagsvormittagssonne über der Welt und läßt ihre Lichtsymphonie brausen.
Über mir, auf einem der höchsten Zweige des Birnbaums, sitzt ein Buchfink und singt und singt. Das ganze Körperchen zittert unter der Wucht der Töne, die es aus der an- und abschwellenden Kehle hinausschleudert. Es sitzt oben inmitten der leuchtenden Tragknospen, die da sind wie gesegnete Frauen und angstvoll sehnsüchtig den Tag erwarten, wo aus ihrem Schoß das Wunder des neuen Lebens ins Sonnenlicht tritt. Und der Vogel ist selber eine singende Knospe. Immer wieder bricht sein ungestümes Sehnsuchtslied ihm aus der bebenden Brust, und dann dreht der Buchfink erwartungsvoll und herausfordernd sein Köpfchen nach allen Seiten, und aus dem Nachbargarten antwortet es rrrrrridjidjidjidjidjiu!
Ein Flug Spatzen treibt sich durch den Garten mit kurzem, klanglosem Gezirp. Wie ärmlich sich das neben dem sieghaften Frühlingslied des Buchfinken ausnimmt! Aber es belästigt einen wenigstens nicht. Die Eule gibt nachts einen Ton von sich, der wie das Schnarchen eines Betrunkenen klingt. Verliebte Kater und Katzen singen in Mondnächten ihr Lied. das Steine erweichen, Menschen rasend machen kann. Ein Hund bellt durch das Dunkel von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang und die Nachbarschaft, die auf zwei Kilometer im Umkreis nicht schlafen kann, verflucht ihn. Aber weit fort, Gott weiß woher, antwortet ihm eine gleichgestimmte Seele. Der Esel brüllt, das Pferd wiehert, die Kuh muht - und es fällt niemanden ein, entzückt stehen zu bleiben, und kein Dichter hat je erlebt, daß dadurch seine schriftliche Ader in Fluß gekommen wäre.
Das ist schnöde Ungerechtigkeit. Wenn der Buchfink singt, so tut er es nicht, weil er poetisch oder ästhetisch wirken will, noch auch, um uns Menschen ein Vergnügen zu bereiten und in uns Frühlingsgefühle zu erregen. Er singt, weil er entweder verliebt oder hungrig ist oder sich langeweilt, was auch eine Form der Verliebtheit ist. Und genau im selben Fall sind Spatz und Eule, Hund und Katze, Esel, Kuh, Löwe, Schakal und das ganze Tierreich, der Mensch nicht ausgenommen. Die Anmut seiner in Töne gegossenen Verliebtheit richtet sich nach dem Grad seiner Kultur. Es gibt Ständchen, die entzückend und herzerweichend sind und es gibt andere, die einen musikalisch veranlagten Zuhörer zur Verzweiflung bringen könnten.
Aber die Schöne, der das Ständchen gilt, schmilzt dabei hin. Und da haben wir den Kern der Sache. Jedes Tierchen hat nicht nur sein Pläsierchen, sondern auch sein eigenes Liebeslied. Und es hätte durchaus keinen Zweck, wollte der Mensch da egoistischpedantisch eingreifen und sagen: Da mir das Zwitschern des Buchfinken besser gefällt, als das Zirpen der Spatzen, das Schnarchen der Eulen, das Miauen der Katzen, das Hundegebell und Pserdegewieher und sämtliches Gebrüll, so sollen von heute ab Hund und Katze, Löwe und Wolf und Fuchs und Ochs und Esel und Pferd und alles was sein ist egal weg zwitschern, wie die Buchfinken, wenn sie verliebt oder hungrig sind oder wenn sie Langeweile haben.
Zwitschern ist schön, aber alles zu seiner Zeit. Und wenn einmal die Welt ein Jahr lang mit lauter Gezwitscher gesüllt wäre, gäben wir Gott weiß was darum, wieder einmal eine Kuh brüllen, einen Hund bellen, ein Pferd wiehern zu hören.