Original

16. März 1921

Der Motorpflug „Agro“ steht jetzt im Mittelpunkt des Interesses. Jeden Tag liest man von einem Probepflügen, das stattgefunden hat oder stattfinden soll. Und die Bauern sind Feuer und Flamme dafür, zumal die jungen. Sie sind allmählich in die Vertrautheit mit der Maschine hineingewachsen, sie wissen nicht, wie ihre Väter und Großväter, von einer Zeit, wo in der Landwirtschaft noch alles von Hand gearbeitet werden mußte, wo es keine Mäh- und Sämaschinen gab, wo der Pflug „der“ Pflug war und der Gaul, der Hafermotor, der einzige Kraftlieserant im Ackerbaubetrieb. Heute weiß jeder Bauernbursch mit dem Benzinmotor Bescheid, und die ländliche Mentalität hat sich unter der Einwirkung der tempobeschleunigenden Maschinen ebenfalls auf ein rascheres Tempo eingestellt. Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß übers Jahr durchs ganze Land der Agro seine Furchen ziehen wird. Denn die Bauern warten heute nicht mehr hinterm Ofen, bis der Fortschritt sie heraustreibt, sie halten schon von selbst nach ihm Ausschau. Es ist nicht mehr wie zur Zeit, in der die Erzählungen Karl Eydts spielen, der mit dem Fowler’schen Dampfpflug in der Geographie herumreiste und in Amerika sogar einmal, um seinen Artikel populär zu machen, ein Lokomobilwettrennen veranstalten mußte.

In Zukunft wird der Bauer sein Feld viel rascher umpflügen, aber etwas wird dabei verloren gehen: der malerische Charakter des pflügenden Bauern. Kein Segantini und keine Rosa Bonheur der Zukunft werden sich von dem Schauspiel begeistern lassen, das ein Motorpflug in voller Tätigkeit bietet. Tiermalerei ist eine Spezialität. Motormalerei hat keine Aussicht, je eine Spezialität zu werden. Auch die ganze Frühlings- und Herbstlyrik, die der Pflug ausströmte, geht mit dem Agro zum Teufel. Es sind charakteristische Frühlings- und Herbstlaute, wenn der Bauer hinter seinem pflügenden Gespann her hüh und hoh und hott und har ruft, und wenn Fuchs und Schimmel über die Gewann wiehern. Alle diese Kundgebungen eines blutwarmen Lebens werden in Zukunft ersetzt werden durch das Geräusch eines Auspuffers. Nein, der Agro ist weder malerisch noch poetisch. Aber er ist praktisch. Und er hat nebenbei das Gute, daß der Jang und der Pier Sonntags nicht von der Kegelbahn fort müssen, um zuhaus die Pferde zu füttern. Denn der Motor steht ruhig in seinem Schuppen und braucht weder zu fressen noch zu saufen, solange er nicht arbeitet. Und der Tierarzt gewinnt dabei das, daß er keinem Pferd mehr Pillen vermittels’eines Glasröhrchens einzublasen braucht. Hinwiederum gibt der Motor keinen Mist - obschen er einen übeln Geruch verbreitet. Und er bekommt auch keine Junge, wie das Pferd. Und es ist mithin ausgeschlossen, daß jemals im Staatsbüdget ein Kredit stehen wird: Subsid im Interesse der Veredlung der Motor-Rassen.

TAGS
    Katalognummer BW-AK-009-1868