Original

19. März 1921

Die Echternacher Abtei war Gemeingut unseres Volkes, auch ehe diese moralische Besitznahme durch staatlichen Ankauf und notariellen Akt besiegelt war.

Denn Echternach ist eine jener lauschigen Ecken, wohin Sehnsucht und Stimmung einen von Zeit zu Zeit ganz von selbst in sanfter Strömung treiben.

Echternach ist schön, nicht weil es die Abtei hat, sondern die Abtei ist entstanden, weil es dort schön war. Die alten Ritter mußten auf den Höhen horsten, aber die Mönche, die ihre Sach auf Gott stellten, suchten sich zu ebner Erde die sonnigsten und fruchtbarsten und schönsten Winkel aus. Sie hatten recht. Wenn sie dem Teufel und seinem Pomp und seinen Werken entsagten, wollten sie wenigstens von den natürlichen Gottesgaben soviel haben, wie in ein Menschenleben hineinging.

Die alten Echternacher Mönchsgeschichten, in denen Mauern, Strickleitern, Kahnfahrten in Mondnächten usw. eine Rolle spielen, wollen wir für heute ruhen lassen und nur die Tatsache betrachten, daß die Abtei Echternach ihrerzeit ein Ausstrahlungsherd von Wissen und Kultur war und daß heute davon nichts übrig geblieben ist. Hätte in Echternach Jahrhunderte lang eine Industrie geblüht, so wären davon an Ort und Stelle tiefer gehende Spuren festzustellen, als von dem Wirken der Mönche. Dieses ging. in die Weite, sozusagen über die Köpfe der zunächst Wohnenden hinweg. So ist es heute in derselben Art unwahrscheinlich, daß die Benediktiner von St. Maurice mit ihrer Tätigkeit auf die Einwohnerschaft von Clerf abfärben. Die Echternacher sind durch ihre Abtei berühmt geworden, und dabei ist es geblieben. Aber mit Berühmtheit läßt sich keine Suppe kochen.

Run wird man sich Jahr und Tag über die Verwendung des alten Klosters streiten. Es ist, wie wenn Vater ein Grammophon gekauft hat und die Kinder streiten sich darum, was gespielt werden soll. Die einen wollen Schubert, die andern Sousa, dieser das „Gebet einer Jungfrau“, jener den „TipperaryMarsch“, der Franz hätte nichts gegen die „Marseillaise“ u. der Michel verlangt ein Menuett von Lully. Und der Vater ist imstand und spielt sich den „Guter Mond“ oder schließt das Unglücksmöbel zu und läßt es verstauben.

Ich habe immer merkwürdig gefunden, daß wir die Menge alte Klöster und Klosterdependenzien im Lande haben, in denen weder Mönche noch Nonnen mehr wohnen, und daß trotzdem immer wieder neue gebaut wurden. Wäre es nicht gescheiter gewesen, den neuen Ordensleuten die alten Klöster zu überlassen und uns neue Schulen u. Gymnasien zu bauen? Es klingt ingleichen ungeheuerlich, wenn in unserm Land heute die Rede von neuen Kasernenbauten auftaucht, wo das ganze Stadtgebiet mit alten Kasernen übersät ist. In alten Klöstern sind unsere Lehranstalten, in alten Kasernen unsere Museen, Altersheime, Gott weiß was alles untergebracht, unsere Vergangenheit hat uns fast nichts übermacht, als diese Elefantenherde von Kasernen und Klöstern, und trotzdem sind seit dreißig Jahren massenhaft neue Klöster hier entstanden, und jetzt spricht man gar davon, auch neue Kasernen zu bauen! Steckt doch lieber die Mönche und Nonnen in die Klöster, die für sie da sind, und baut uns neue Schulen und Spitäler und Museen.

Es ist schon beschämend genug für uns, daß alle historischen Kulturüberreste in unserm Land aus Klöstern und Kasernen bestehen, man sollte wenigstens darauf verzichten, neue zu bauen, solange noch alte genug da sind.

Was aus der Echternacher Abtei werden wird, weiß heute anscheinend noch niemand. Aber wenn die Echternacher sich nicht selbst helsen, von der Abtei wird ihnen geringe Hilse kommen. Echternach ist das Fremdenzentrum, wie es im Buch steht. Damit ist die Richtung zu seiner Entwicklung gegeben. Man braucht nur zuzusehen, wie es die andern machen.

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    Katalognummer BW-AK-009-1871