Original

20. März 1921

Es klingt vielleicht ein wenig entlegen, wenn man den Bolschewismus mit Humor in Lerbindung - oder vielmehr in Nichtverbindung bringen will. Aber es ist Tatsache, daß wir Europäer gegen den Bolschewismus schon deshalb mißtrauisch sein sollen, weil er keinen Einschlag von Humor hat.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Mit Humor meine ich nicht das billige Gewürz. mit dem ein sogenannter humoristischer Abend überpudert zu werden pflegt. Humor ist eine köstliche Pflanze, die mit Witz oder Satire oder Kalauertum leider immer mehr verwechselt wird. Er ist nicht, wie Witz und Satire, eine Sache des Verstandes, sondern des Gemüts, er ist eine Rassenangelegenheit, er ist seelische Substanz und seelischer Rhythmus.

Humor bedeutet bekanntlich Feuchtigkeit. Er spielt im Leben der Seele die Rolle, die im Pflanzenreich der Regen spielt. Cacteen und Disteln brauchen zum Wachsen keinen Regen, ein grüner Buchenwald würde ohne ihn verdorren.

Das Wesen des Humors ist Kraft und Kraftbewußtsein gepaart mit Gutmütigkeit. Kraftbewußtsein ohne Humor verleitet zu Tyrannei, Grausamkeit, Verbrechertum. Die amerikanischen Wildwest-Geschichten wimmeln von humorbegabten Tramps und Cowboys, Hünen, die ihren Sixshooter handhaben, wie einen Zahnstocher und mit einem Swing den stätksten Mann fällen. Aber ihre Rede ist gemächlich und voll einer verblüffenden Gelassenheit. Sie haben Humor.

Das berühmteste Beispiel von Humor, das mir bekannt ist, gehört der Heiligenlegende an. Als der heilige-Martyrer-Laurentius auf dem rotglühenden Rost lag. sagte er zu den Henkersknechten, die ihn grinsend umstanden: „Finden Sie nicht. meine Herren. daß es Zeit wäre, mich herumzudrehen?“ Das ist Humor. Galgenhumor in Reinkultur. Er setzt eine seelische Kraft voraus, die ihre Gelassenheit im Paroxysmus der Qual nicht verliert. Von derselben Gattung Humor handelt die Kriegsanekdote von dem wackern Bayern, der mitten im Trommelfeuer die besorgte Bemerkung macht: „Die Biester schießen so lang, bis am Ende was passiert!“

Die orientalische, die asiatische Kultur kennen den Begriff Humor nicht. Da ist überall das bewußte, maximalistische Gehen aufs Ganze, das gradlinig Spekularive oder glühend Phantastische. In der ganzen Bibel ist kein Anflug von Humor zu spüren. Aber es ist bezeichnend, daß Scheffel dem Noah im Zusammenhang mit dem Rebstock eine humoristische Seite abgewinnen konnte. Man vergleiche ein orientalisches Märchen mit einem Märchen von Andersen.

Humor ist eine Sache des Occidents. Er wurzelt am tiefsten bei der westeuropäischen Rasse, die aus sich die älteste und geschlossenste Kultur entwickelt hat, bei den Angelsachsen Englands und Amerikas. Dickens und Mark Twain sind für die beiden Nüancen die vollgültigsten Repräsentanten. Dickens vertritt, nach einem alten Cliché. das Lächeln mit der Träne im Augenwinkel. Mark Twains Humor hat das Öl der Sentimentalität eintrocknen lassen und gewinnt dafür die unsichtbare Abwehrbereitschaft, die verblüffende Unabsichtlichkeit und Unerschütterlichkeit des, OldTimers. der im wahnsinnigen Rennen ums Dasein sein Tempo geschickt einteilen mußte, um nicht im entscheidenden Moment die Luft zu verlieren.

Als ein typischer Vertreter des deutschen Humors wird immer Jean Paul genannt. Sehr mit Unrecht. Grade die Gelassenheit und scheinbare Unabsichtlichkeit des Humoristen sehlen ihm. Er hat einzelne humoristisch wirkende Typen geschaffen, aber sein ganzes Werk ist nicht unter dem Kennwort Humor zu rubrizieren.

Die Franzosen haben merkwürdigerweise die Sache, aber kein Wort dafür. Sie haben den Humor durch ihr Temperament hindurchgehen lassen und ihm eine eigene Prägung gegeben. Anatole France entwickelt stellenweise einen Humor, der sich zur Höhe einer Philosophie erhebt, Labiche trieft von einem gutmütig-philiströsen Humor sui generis. Unter den Modernen mehren sich die humoristisch veranlagten Talente, in der Karikatur ist der Humor beispielsweise durch Caran d’Ache und Rabier in köstlicher Weise vertreten.

Humor ist seelisches Gleichgewicht, jeder Hypertrophie abhold. Der ärztlichen Wissenschaft des Altertums galten die Säste, humores, als die Träger des Guten und Bösen im Körper. Ihre richtige Mischung und Beimischung bestimmte den Grad der Gesundheit des Organismus.

So braucht die Menschheit, die europäische Menschheit jedenfalls, den Humor, um seelisch gesund zu bleiben. Eine Bewegung, in deren Kräftemischung der Humor fehlt, ist nicht aus unserm Geist und Charakter geboren. Sie ist uns unadäquat und seindlich. Wir finden uns wohl im grünen Buchenwald, aber nicht zwischen Cacteen und Disteln.

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    Katalognummer BW-AK-009-1872