Palmsonntag! - Sehr bequem, so ein Wort hinschreiben und ein Ausrufungszeichen dahinter setzen. Der Leser soll sich den Rest denken. Stichwortprosa. Ich möchte das Ausrufungszeichen auflösen. Von meinem Palmsonntag schreiben.
Es war nach Wochen blauen Himmels und Sonnenscheins der erste Regentag. In der Frühe pfiff und klapperte es durch die Fensterläden, und der erste Blick hinaus traf auf naß blinkende Dächer.
Auch gut. Die Erde braucht Regen, und den Regen soll man nur fürchten, nicht weil er naß ist, sondern wenn er anfängt, langweilig zu werden. Das ist er jetzt noch nicht. Er ist ein Labsal.
Die blinkenden Ackerfurchen trinken ihn durstig und können nicht genug bekommen. Die schweren Wolken ziehen ihre Schleppen durch die Wipfel der braunen Buchenwälder. In Kruchten steige ich aus, denn es zieht mich nach Fels. Sie haben in der Kammer soviel von der Burgruine gesprochen. Es braucht nur eine solche Anregung, um Erinnerung und Wunsch zu wecken und ihnen Richtung zu geben. Wie schön muß es jetzt auf den Rommerner Höhen sein. und wie wohl muß es tun, ein Paar müde Verne unter den Tisch des gastlichen Hotels zur Post zu strecken!
Kruchten ist die interessanteste Eisenbahnstation des Landes. Sie liegt einsam am Waldesrand, ganz für sich, fast möchte man sagen wie im amerikanischen Wild-West, Holz in Hausen und auf Wagen. Und im Flüßchen spiegelt sich des treffliche Gasthaus, das dem Bahnhof in der Einsamkeit Gesellschaft leistet.
Ich stiebe den Höhen zu, über Schrondweiler Nommern. Es „seepelt“ leise vor sich hin. Immer die Wolkenschleppen über die braunen Buchenwälder. Von Rommern herüber kommen Scharen von Kirchgängern, Buchsbaumsträuße in den Händen. Der bitter-würzige Geruch stört alte Kindheitserinnerungen auf. Ich laß mir von einem Bübchen ein Zweiglein schenken - „gib doch dem Mann ein Sträußchen!“ redet ihm seine kleine Begleiterin zu - und steck’ es an den Hut.
An den letzten Häusern von Rommern höre ich Hühner gackern und Ostereier! Ostereier! klingt es pränumerando. Das alte Mütterchen, das ich in der Küche hinter einer wunderschönen alten, nagelgespickten Haustür überfalle, muß mir wohl oder übel ein paar frische Eier verkaufen. Das Leben ist ein Kampf. Sie will erst nicht, ich muß ihr zureden. Ich siege, sie auch. Wir sind beide zufrieden. Und ftisch sind die Eier ganz sicher, die Enkelin holt sie aus dem „Juck“ und eines davon ist noch warm. Gehen Sie einmal an einem Palmsonntag hinter Rommern den Kniebrecher hinauf bis an den Waldesrand und schlürfen Sie da zwei frische Eier aus, lassen Sie Ihre Blicke schweifen über die stlbrigen Kulissen der fernen heimatlichen Höhen, die sich bis Grevels, Heiderscheid, Wiltz, bis zur hintersten und höchsten Empore des Landes vor- und hinter- und durcheinander schieben, und sagen Sie mir, ob das nicht schöner ist, als die ganze Politik.
Mein Palmzweiglein am Hut steige ich weiter. Brombeerhecken hängen ihre Ranken über den Wegrain, und die grünen Blätter, violettbraun am Rand, tun stolz, daß sie den Winter überdauert haben. Blättlein, Ihr seid tapfer, aber war Eure Tapferkeit nicht unnütz? Ihr habt den Winter besiegt, aber den Frühling nicht gewonnen. Wenn er kommt, müßt Ihr ja doch gehen. Seht die frischen grünen Sprossen Eurer Rachbarstarden, der wilden Stachelbeeren: Sie haben nicht trotzig gegen den Winter durchgehalten, sie gingen zur Ruhe, als es Zeit war. Und jetzt können sie mit neuen Zungen in den Frühlingsjubel einstimmen, Ihr tut mir leid, Ihr trotzige Brombeerblätter!
Glockengeläute ringsum.
Und während ich reisig die Höhe hinuntersteige und ins Städtchen einziehe, sitzt alles beim Mittagessen und keine lebende Seele ist auf den Straßen.
Aus dem silbergrauen, sanft durchrieselten Vormittag ist ein sonniger Rachmittag geworden mit klassischen Märzschauern. schiefergrauen Wolkenwänden, die plötzlich die Sonne verschlingen, und Graupelgestöber, das mit Millionen weißer Körnchen auf dem Pflaster tanzt.
....... Die Glocken, die zuhauf geläutet hatten, schweigen und ein dünner, kindlicher Ton bimmelt klagend weiter: Das Totenglöcklein. Die Fremde, das herrliche, unheimliche glückspendende, grausame Paris har Einen in seine Heimat Fels zurückgeschickt, der jung und stark und hoffnungsfreudig, als Eroberer hinausgezegen war, das Leben gemeistert hatte an einer der Stellen, wo der Kampf am heißesten ist. Jetzt tragen sie ihn zu Grab und seine Heimat trauert um ihn als einen ihrer Besten.
Die Armen, die im Frühling fort müssen! Am Palmsonntag!