23. März 1921

Ein Gewerkschaftsführer erklärte in der Kammer: „Wir sind stolz, an der Spitze einer solchen Organisation zu stehen, die so stramme Disziplin gezeigt hat.“ Oder ähnlich.

Derselbe pflegte früher zu sagen: „Die Kammer ist eine Quatschbude, die niemand mehr ernst nimmt. Wir organisterte Arbeiter werden Euch zeigen, was eine Harke ist!“

Man merkt die Freude am Werkzeug. Das Werkzeug war neu, selbstg schmiedet. Resultat mühsamer Arbeit. Die Führer brannten darauf, es zu probieren. Der Bub, der sich ein neues Blasrohr gebaut hat, kann nicht erwarten, bis er es auf den ersten Spatz richtet. Und sitzt der Spatz in der Richtung eines Fensters, es macht nichts, das Blasrohr wird probiert, auch wenn es ein Loch in die Scheibe gibt.

Die Führer wollten das neue Werkzeug probieren, obgleich sie wissen mußten, daß es Scherben gäbe. Die Scherben sind ihnen schnuppe, sie freuen sich und sind stolz, daß das neue Werkzeug so prompt und glatt gearbeitet hat.

Es soll nichts gegen die Gewerkschaften gesagt werden. Die Arbeiterwelt hat sich in ihnen eine scharfe Waffe geschmiedet. Das war ihr Recht.

Aber es hat sich gezeigt. daß dieser Staat im Staat, den die Gewerkschaften bilden, eine Gefahr für das Ganze werden kann.

Von diesen zwei Gewalten, die einander gegenüber stehen: Staat und Gewerkschaften, ist der eine mit allen Garantien für die Interessen der Allgemeinheit aufgebaut. Der andere ist ein primitives, simplistisches Gebilde, dessen Kraft brutaler Natur ist. Der Staat ist ein zweckmäßig geschichtetes, gegliedertes, differenziertes Ganze, in dem niemand zu einer Funktion gelangt, wenn er seine Eignung dazu nicht auf die vorgeschriebene Art dargetan hat. Führerstellen in diesem Organismus setzen die höchsten intellektuellen, moralischen, ethischen Eigenschaften voraus, in allererster Linie ein peinlich geschärstes Verantwortlichkeitsgefühl der Allgemeinheit gegenüber.

Von dieser Allgemeinheit lösen sich die Gewerkschaften los, bilden ein Ganzes für sich, das seine Stoßkraft nur seiner Masse verdankt, und richten diese Stoßkraft gegen das Ganze, mit der mehr oder weniger klar und aufrichtig bekannten Absicht, es über den Haufen zu werfen.

Ein Experiment dieser Art liegt zu einem guten Teil hinter uns, und die vernünftigen Elemente der Gewerkschaften fragen sich, ob bei dem Zusammenprall das neue Werkzeug nicht an der Spitze ein wenig Schaden gelitten hat, ob das Material, an dem es erprobt wurde, wirklich das Material war, für das es gebaut ist. Die Gewerkschaften sind, bewußt oder unbewußt, in einem Streit mobil gemacht worden, auf dessen Höhepunkt die Politik und nicht mehr die Wirtschaft ausschlaggebend war.

In dem begreiflichen Drang, die Maschine einmal laufen zu lassen, ist es zu einem mißbräuchlichen Einsetzen der Gewerkschaften gekommen, vielleicht nicht von Seiten einzelner Führer, aber ganz gewiß von Seiten derer, die das Kind mit dem Bade ausschütten und eine neue Ordnung einsetzen wollten, ehe die alte gewillt war, sich ersetzen zu lassen.