Original

24. März 1921

Herr Marcel Cahen hat dem Straßenstanb Urfehde geschworen. Nur über seine Leiche soll dieser Feind der Menschheit in die Lungen seiner Mitbürger gelangen. Löblicher Eifer. Auch der Fremdenverkehr soll dadurch gehoben werden, daß Sauberkeit und Hygiene die nötige Förderung finden.

Um Fremde anzuziehen, muß eine Stadt gesund sein. Aber auch schön. Im Tourismus wie in der Liebe gehören Gesundheit und Schönheit zum harmonischen Ganzen.

Unser Luxemburg ist schön, soweit die Natur und der Zufall für seine Gestaltung gesorgt haben. Wo Menschenhand im Spiel ist, da wurde manches versehen und verschandelt.

Der Fremde, der über die alte Brücke und durch die Athenäumsstraße in die Stadt kommt, empfängt den denkbar traurigsten Eindruck. Seitenblicke von der Brücke aus hatten ihn großzügige landschaftliche Bilder ahnen lassen, jetzt auf einmal stellt sich ihm ein graues, ernstes, äußerst offiziell aussehendes Gebäude quer vor die Aussicht und drückt auf seine Stimmung. Ich meine das alte Rathaus.

Allen Respekt. vor dem Architekten. Der Bau wirkt schön geschlossen, die Schwierigkeit, die in dem Niveauunterschied zwischen Vor- und Rückseite lag, ist plausibel gelöst. Die alte „Märei“ ist eines unserer wenigen öffentlichen Gebäude, die für ihre Bestimmung eigens erbaut sind. Die Säulenhalle, der breite, feierliche Rhythmus der Treppenaufgänge außen und tnnen, die geschickte Verteilung und das Ausmaß der Säle und Räume, alles verrät architektonische Schule und Überlegenheit. Und im Volks- und Kulturleben der Stadt spielen die „Märei“ und die „Märeistraap“ eine hervorragende Rolle. Die Freitreppe ist bei geschichtlichen Ereignissen immer entweder Bühne oder Zuschauerplatz gewesen, von ihr ist zuerst der „Feierwon“ erklungen, von ihr sind Reden so und Reden so ans Volk ergangen, von ihr haben wir 1918 im November den Befreiern zugejubelt - die „Märeistraap“ mit dem „Knuedler“ ist das Herz des Landes, und die „Märei“, stark und würdig, in schönen Verhältnissen hingelagert, vornehm in die Breite, statt nervös und protzig in die Höhe gehend, ist der Rolle, die sie zu spielen hat, immer wohl gewachsen.

Aber eine Absicht des Erbauers ist nicht erfüllt worden, und doch wäre durch ihre Erfüllung an dieser Stelle ein Anblick zu schaffen, der auf jeden Fremden den besten Eindruck machen würde.

Die Begabung des Architekten für einfach monumentale Wirkung in bescheidenem Rahmen bekundet sich nicht nur im Bau selbst, sondern in den Treppenanlagen, die rechts und links auf den Wilhelmsplatz hinaussühren. Ich weiß nun nicht, ob die Pläne zu dem Bau noch im städtischen Archiv aufbewahrt werden, jedensalls ist es wahrscheinlich, daß die beiden Plätze, die unten rechts und links zwischen der Säulenhalle des Untergeschosses und den Treppenaufgängen liegen, in diesem Plan als Ziergärtchen gedacht waren. Darauf deutet die Brunnennische in der Rückwand.

Heute sehen diese beiden Plätze wüst genug aus. Ich kann mir kaum denken, daß im Herzen von Paris z. B. neben einem der wichtigsten Amtsgebäude ein solcher Schönheitsfehler geduldet würde.

Stellen Sie Sich bitte einen Augenblick vor, daß diese beiden Vierecke mit Rasen, Zierbüschen und Blumen geschmackvoll bepslanzt wären, und sagen Sie selbst, ob das nicht reizvoller auf den Fremden - und auch auf uns Eingesessene - wirken müßte, als die beiden Plätze in ihrem heutigen Zustand. Ich mache sogar den ausdrücklichen Vorschlag, das DicksLentz-Denkmal in seine Primfaktoren zu zerlegen und die Büsten unserer beiden Urpoeten auf jenen zwei Plätzen aufzustellen, die von Dicks dem Athenäum gegenüber, das so ost die Stätte seiner Jugendstreiche war, die von Lentz links, am Fuß des Hauses, in dem er gelebt hat und gestorben ist.

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    Katalognummer BW-AK-009-1875