Farbe ist Trumpf. Sie ist zum Licht, was die Sprache zum Gedanken ist.
Dies ist die Zeit der Farbe. Eine Revanche gegen die weiße Eintönigkeit des normalen Winters. Crocus und Primeln und Seidelbast und Pfirsichblüten protestieren lila und orange und rosa gegen die Tyrannei des ewig Weißen. Sogar die Eier wollen an Ostern nicht mehr weiß sein und prangen in den schmetterndsten Farben.
Wenn also Farbenfreunde eine Form für Lebensbejahung und Frühlingsauftrieb ist, was soll man denn von der Kulturmenschheit denken, die das Farbige an sich selbst als Ungeschmack verpönt! Bis aufs Vauerndorf hinaus gilt heute die Losung: schwarz! So ist man immer „gudd ugedunn!“ Ob es der „Merjenos-Schal“ der Weibsleute oder die Sonntagstracht der Mannsleute ist, „schwarz und schwarz sind alle meine Kleider“. Nicht, „weil mein Schatz ein Kohlebrenner ist“, wie es im Volkslied heißt, sondern weil es ein billiges und einfaches Mittel ist, für vornehm zu gelten. Nur da und dort steckt die Farbenlust ihr Züngelchen hervor in Gestalt eines grasgrünen oder violtetblauen Seidenzipfels, der morgens sorgfältig zum Dreieck gefaltet aus der Brusttasche emporsteht und abends schlapp wie eine welke Irisblüte niederhängt.
Wie war das früher so ganz anders. Im ganzen Dorf war außer den Kommunionsbübchen vielleicht nur der Herr Pastor, der öffentlich in schwarz ging. Und der konnte sich in der Kirche an den farbigsten Meßgewändern schadlos halten. Die männliche Bevölkerung schwelgte in Nüancen und Mustern. Das war die Zeit, wo nach Julius Stinde die Textiltechniker nach Italien fuhren, um ihre Phantasie im Anblick der Kunstschätze von Rom und Florenz zu befruchten und sie zur Erfindung ewig neuer Musterzeichnungen und Farben tauglich zu machen. Damals konnte man den Charakter jeder Bauernfrau aus dem Anzug ihres Mannes erraten, weil natürlich sie ihn ausgewählt hatte. Diese Auswahl einer neuen Wot oder Montur war eine Staatsaktion. Heute ist der Faktor Farbe völlig ausgeschieden. Schwarz ist schwarz. Nur in der Sportbekleidung wirkt sich zum Glück die Farbenfreudigkeit der Männerwelt noch aus. Sonst ist sie ganz auf die Kravatte zusammengeschrumpft.
Die Frau ist näher bei der Natur. Sie hat dem nüchternen Zug widerstanden, der die Herrschaft der Farbe in der Männerkleidung auf die Länder des Balkans, das Gebiet der Operette und des Faschings verbannen will und die Zeiten verleugnet, in denen die Herren der Schöpfung in Samt und Seide, in rot und blau, grün und gelb und lila den Frauen Konkurrenz machten. Die Frau ordnet ihre Lust an der Farbe keiner falschen Scham unter, sie läßt sich nicht durch lächerliche Menschenfurcht davon abhalten. sich so ausgiebig wie möglich zur Trägerin ihrer Lieblingsfarbe zu machen. Diese Farbenfreude ist im Grund genommen eine Art Geschwätzigkeit, eine Form, den Leuten zu sagen: Seht, ich bin eine fein gestimmte Seele, darum trage ich das diskrete mauvegrau - oder: Ich bin inwendig ein glühender Vulkan, ich finde nichts, was für meinen Geschmack rot genug wäre.
Ich glaube, es wird nicht besser, bis wir wieder zur Farbe, zur Aufrichtigkeit zurückkehren. Denn „Farbebekennen“ gibt es nicht nur im Kartenspiel. Allgemeines Mißtrauen hat als Begleiterscheinung das Bedürfnis, sich unter einer gemeinsamen Farbe zu verbergen.
Es fragt sich nur, was zuerst da war: Das allgemeine Mißtrauen, auf dem das ganze Unglück der Welt von heute beruht, oder die Verleugnung unserer Farbenlust.