7. April 1921

Schauplatz: Rheinuser, Koblenz. Terrasse Fürstenhof. Auf Ehrenbreitstein steht das Sternenbanner straff, viereckig, leise zitternd in der Nordwestbrise. Ein silbriger Dunst liegt rheinauf im Tal, die weißblühenden Bäume und die blinkenden Dächer verschlesernd wie ein feiner Mullvorhang. Auf der Schiffbrücke staut sich das Volk, bis sie für einen Schlepperzug ausgefahren wird. Über den Uferrand wippt die Spitze einer Angelrute. Amerikanische Lastautos kommen von der Stadt her und schwingen sich in weitem Bogen über den Staden.

Ein Herr und eine Dame entsteigen einem französtschen Auto, das die Kennerblicke einiger dinierenden Gäste auf sich zieht. Das Paar bestellt Mittagessen. Am Nebentisch sagt von zwei Herren grade der eine: Wenn ich zu 50 000 liefere, verdiene ich genau die Hälfte. An einem andern Tisch erzählt eine Gesellschaft von einem fidelen Osterausflug. Im Ganzen leise Nachfeiertagsstimmung. Man vergißt Unangenehmes, denkt an Lichtseiten des Lebens.

Da kommt ein junger Mensch unsicheren Schritts und ängstlich Witterung nehmend die paar Stufen zur Terrasse herauf. Er trägt eine abgeschlissene feldgraue Uniform, an der die metallnen durch ZivilKnöpfe ersetzt sind. Dazu einen grauen Schlapphut. Gesicht und Gestalt sind abgemagert. Der Kopf wackelt beständig, wie in unwiderstehlicher, ewiger Verneinung. Der junge Mann geht von Tisch zu Tisch und bietet Ansichtskarten zum Verkauf. Die Kellner sehen gleichgültig an ihm vorüber. Die französische Dame ist über den Anblick leise entsetzt, ihr Gatte anscheinend nicht minder. Der Krieg drängt sich mit einer peinlichen Erinnerung geradezu geschmacklos in die Gesellschaft.

Dann geschieht das Sonderbare, daß der deutsche Kriegsinvalide an sämtlichen Tischen, an denen Deutsche sitzen, abgewiesen wird, daß ihn aber das französische Paar und die zwei Luxemburger reichlich beschenken.

Ich will nicht verschweigen, daß ich dem Unglücklichen nachsah, so weit ich konnte, und daß er, als er an der Ecke des Koblenzer Hofes einen Zigarrenladen betrat, auf einmal nicht mehr mit dem Kopf wackelte.