Ich wollte ein Stündchen zwischen zwei Zügen verbummeln, ging durch Unterführungen, über mittagheiße Straßen, die letzten Häuser vorbei zwischen osterbunten Gärten an die Schiffslände. Ein alter Schiffer saß neben dem kleinen Holzbau auf einer Bank und starrte in den Strom. Die Passagierdampfer fuhren noch nicht, die Schleppzüge kamen in langen Abständen mit halb leeren Kähnen. Der Rhein war wie ein Landstreicher, dem die Zehen zu den Stiefeln herausstehen. Unsauber langten die Kieselflächen, die die lange Trockenheit bloßgelegt hatte, nach den begrünten Ufern herauf, Sandbänke inmitten des Strombettes waren wie Grindflächen.
Der alte Schiffer saß regungslos auf der Bank, starrte in den Strom und ließ sich von der Sonne bescheinen. Ich frug ihn, ob die Dampfer noch nicht fahren. Nein! - mürrisch. Ein Holländer fährt zweimal die Woche ab Mainz, Frachtdampfer, nimmt Passagiere. Gu’n Dach!
Wie ich denn zur Lahnmündung komme? frage ich den Alten.
Er deutet stromauf mit dem Pfeifenstiel und geht weiter.
Eine alte, verfallende Kirche liegt verlassen in der Ecke, wo Lahn und Rhein sich treffen. Buben spielen Ball, kleine Mädchen sitzen im Rasen, den Schoß voll Maßliebchen, die sie zu Sträußchen oder Kränzen binden. Liebespaare wandeln langsam vorbei.
Ihr enges Tal entlang, an Burg und Bergkirche vorbei, kommt die Lahn zögernd, prosaisch, zwischen mürrischen Kaimauern geschlichen und läßt sich vom Rhein mit fortziehen.
Tragik wie aus Menschenschicksalen redet aus solchen Zusammenflüssen. Eines ist dabei, das sich auf ewig selbst verliert. Und gleich ist um Dich der Ewigkeitsgedanke, hüllt Dich ein, richtet um Dich die wehmütige Frage auf: Wozu? Dein Sinnen spinnt sich hinein in das Ziehen des Stroms, wie der Faden vom Rocken ins surrende Rud und das Schicksal von Fluß und Strom wird Dir zu eigenem Schicksal.
Zusammenflüsse reden ergreifende Sprache. Eines war seines Lebens froh, wußte um Waldeskühle, wo es entsprungen war, um sanfte Wiesentaler, um tagende Berge, weiße Städte, schlanke Türme, farbige Wimpel, wußte um süße Stille und brausendes Leben, und das alles trug seinen Namen, war es selbst, war ein Merkwürdiges, ein Schönes, das die Menschen lieben, nach dem sie Heimweh haben, wo sie ihre Häuser bauen. wo sie geboren und begraben werden. Das alles ist man, und dann kommt die Stelle, wo man aufhört, das alles zu sein, wo man seinen, Namen und sich selbst verliert. Verliert an einen andern, der aus unbekannter Ferne kommt, der größer, stärker, berühmter ist, der einen ganz in sich aufnimmt, in dem man aufgeht, so daß man eins mit ihm wird und von einem nichts mehr übrig bleibt.
Nichts, als der Stolz, daß man ihn größer und stärker gemacht hat, daß man ihm helfen wird, seine Schiffe zu tragen, oder auch wenn es sein muß. über die Ufer zu brechen und Unheil statt Segen zu stiften. Daß man mit ihm sich in das größere, brausendere Leben stürzen, höhere Berge, weitere Himmel, riesigeres Menschenwerk spiegeln wird. Und daß man mit ihm zusammen in die Ewigkeit des Weltmeeres eingehen wird, zusammen mit ihm eins werden mit dem Einen.
Zum Schluß, gütiger Leser, möchte ich dir raten, wenn du es auf solche oder ähnliche Gedanken abgesehen hast, dich nicht am Zusammenfluß von Petruß und Alzette auszustellen.