Sie: 20 Jahre, blond, schlank, braune Augen, dementsprechend ein winziges braunes Schönheitsfleckchen an der rechten Kinnseite. Seit acht Tagen von der Hochzeitsreise zurück.
Er: Rüstiger Dreißiger, sehr brünett, amerikanischer Typ, federnde, weit ausholende Bewegungen.
Beide besichtigen an einem herrlichen Aprilvormittag nach dem Frühstück das Gärtchen hinter ihrer Stadtwohnung. Ein Kirschbaum brennt weiß in der Sonne, ein Hyazinthenbeet klingt in Farben, Bienen taumeln, Taubenflüge schwingen sich durch das Blau, Liebe; Liebe! raunt es durch die Frühlingswelt.
Sie (entsetzt ausspringend): Eine Spinne!
Er (saßt sie zärtlich um die Mitte): Weshalb Dich so erschrecken, Herz?
Sie (zeigt entgeistert auf die Spinne, die sich an einem glänzenden Fädchen von einem Rosenstrauch erdwärts gleiten läßt): Da! Da!
Er: Dada! Du Schäschen. Die tut dir nichts. Verlangst du, daß ich sie töte?
Sie (wirst sich schaudernd an seine Brust): Huh, wie kannst du davon reden, solch Unglücksbiest anzufassen!
Er: Unglücksbiest?
Sie: Nun ja, Spinne am Morgen, Kummer und Sorgen.
Er: Weisheit der Völker! Araignée du matin, chagrin. Komm, setzen wir uns auf unsere srisch mit Ripolin gestrichene Gartenbank und freuen wir uns des Frühlings. Ist es nicht fast so schön, wie in Lugano, in Bellagio, in Monte?
Sie (mit schwärmerischem Augenauffchlag, das Köpfchen auf feiner Schulter): Ach!
Er: Und da regt sich so ein kleines Dummchen über eine Spinne auf!
Sie: Henry! Spotte nicht über ernste Dinge.
Er: Margarete! Willst du mich nicht gleich fragen, wie ich es mit der Religion halte?
Sie: In meiner Familie glaubt jedes an die schlimme Vorbedeutung der Morgenspinne. Es ist kein Fall bekannt, wo sie nicht Kummer und Sorgen gebracht hätte.
Er: Gut, so werden wir das erste Exempel statuieren. Ich will Onesimus heißen, wenn uns beiden dieses harmlose Tierchen auch nur für fünf Pfennig Kummer und Sorge bringen soll.
Sie: Henry, sei nicht vermessen!
Er: In welchem Zusammenhang kann sich denn eine Spinne mit unserm Schicksal befinden?
Sie: Du weißt ja, wer mehr fragen kann, als zehn Weise zu beantworten imstande sind.
Er: Ein Narr, jawohl. Aber das Närrchen bist diesmal du.
Sie: Närrchen! Das Diminutiv kränkt mich. Als ob du mich nicht für voll nähmest. Also du glaubst nicht an die Prophetin Spinne?
Er: Ich aberglaube nicht an sie.
Sie: Henry, hast du mich lieb?
Er: Margarete, scheint die Sonne, ist der Himmel blau, blühen die Kirschen!
Sie: Du sollst nicht ausweichen. Hast du mich lieb?
Er: Nein!
Sie: Im Ernst?
Er: Eigentlich sollte ich ja sagen, um dich für deine vermessene Rede zu strafen.
Sie: Also du hast mich lieb. Gut. Glaubst du an die Spinne?
Er: Was hat die Spinne mit unserer Liebe zu tun?
Sie: Glaubst du an die Spinne?
Er: Ich glaube an Gott, ich glaube an den Himmel deiner blauen Augen, ich glaube an die Rosenblätter deiner Lippen und an die Wonne deiner Küsse, ich glaube an das Entzücken ....
Sie: Glaubst du an die Spinne?
Er: Margarete, sei nicht kindisch, verzettele deine Macht nicht in solchen Kleinigkeiten. Du wirst schon noch ....
Sie (fährt blitzenden Auges auf): Ha, da hast du dich verraten! Ich werde fchon noch .... ja, ja, ich werde schon noch Gelegenheit finden, in ernsten Lagen meine Macht zu gebrauchen! Was hast du vor! Du willst mir untreu werden! Oh, ich weiß schon, mit wem! Ich Unselige! Und ich habe dir vertraut, wie einem Gott, ich habe dich angebetet, ich habe dich geliebt, ich habe an dich geglaubt ....
Er: Wie an die Spinne!
Sie: Genug, mein Herr! Ich erlaube nicht, daß Sie mit meinen heiligsten Gesühlen Ihren schnöden Spott treiben. Ich kehre zu meiner Mutter zurück! Adieu!
Sie stürzt fort, er ihr nach, fängt sie am Gartengitter ein, führt sie ins Haus und ist glücklich genug, sie nach zirka einer halben Stunde zu besänftigen.
Aus dem Nachspiel soll solgendes kurze Zwiegespräch noch Platz finden:
Sie (sein Kinn streichelnd, das er vor anderthalb Stunden frisch rasiert hat): Schatz, jetzt kannst du es ja gestehen: Hatte ich nicht recht, daß uns die Spinne vorhin Kummer und Sorge gebracht hat?
Er: Ja wohl, vollkommen recht hattest du. Ich gestehe dir alles, was du willst. Ich habe nicht die Kraft mehr, mich mit dir auf einen Streit einzulassen.
Sie: Also siehste!