„Ein Schifflein ziehet leise - Den Strom hin seine Gleise.“ - Es gibt in der ganzen deutschen Lyrik keine zwei malerischeren Verse, als diese. Du siehft das Schifflein, stehst den Strom, das Ziehen, die Gleise. Und siehst die, die drin wandern - denn man kann auch in einem Schifflein wandern - und hörst Horn und Flöte und Gesang und wie sie beim Scheiden fragen: Wann sehen wir uns, Brüder, auf einem Schifflein wieder?
Ich bin perplex. Ich schwanke zwischen dem Idyll des Schiffleins von Uhland und dem Motorbootchen, das ich dieser Tage auf der Mosel bei Ehnen gesehen habe Nämlich der Wirt aus dem landbekannten Hotel mit der feuchtfröhlichen Terrasse will seine Gäste diesen Sommer auf der Mosel spazieren fahren - wenn bis dann noch Wasser in der Mosel ist - und hat zu diesem Behuf ein Bootchen mit einem putzigen Propellerchen angeschafft. Ich sah es zu Berg die Wogen pflügen, die Schaukelwellen gingen schräg in zwei Reihen von ihm aus und plätscherten ans Ufer und waren von tadelloser Gleichmäßigkeit, wie die Krause einer frisch geknifften Kirmeshaube. Und im Boetchen saßen Damen in bunten Gewändern und Herren, die mit ihnen scherzten. Keiner blies weder Horn noch Flöte, keiner sang, das Schifflein zog seine Gleise nicht leise, sondern ziemlich vorlaut, die Schraube drehte sich so leidenschaftlich, daß das Wasser kochte, das Bootchen zitterte und die Fische entsetzt nach allen Richtungen flohen - nichts, wie es bei Uhland steht. Und schön war’s doch.
Einst fuhr der junge Mann seinen Schatz und die Gespielinnen und Freundinnen seines Schatzes spazieren. Er stand hoch und stark auf der hintern Ruderbank und warf durch die gerundeten Finger der Rechten den schweren Nachenbaum, daß die Eisenspitze in den Sand knirschte oder auf dem Felsen klang. Und wuchtete mit der ganzen Last seines Körpers auf dem Baum, daß der Nachen unwillig vorwärts brauste, das Wasser an seinem Bug sich emporkräuselte. Und der junge Mann fühlte, wie stark und geschmeidig er wirkte, wenn er so im auf und ab und vor- und rückwärts den Nachenbaum warf, sich an ihm hintenüberlehnte, sich wieder ins Gleichgewicht schwang, bankauf bankab. Und sein Schatz dachte, wie ihn die andern bewundern mußten und neidig wurden. Es war heiß und Wangen, Stirne, Nacken des jungen Mannes firnißten sich mit Schweiß, der Schweiß rann zu Tröpfchen zusammen und kullerte an Schläsen und Kinn herunter. Und zur Freude am Schatz und am guten Eindruck, den man gemacht hatte, kam der Durst und der junge Mann trank sich einen Schwips.
Heute ist es anders. Heute imponiert er nicht mehr durch seine Geschicklichkeit im „Punting“, wie die Engländer, im „Deien“, wie sie an der Mosel sagen. Heute sitzt er am Steuerrädchen des Motors und läßt sich vom Ruhm der modernen Technik überstrahlen. Wenn die Damen es herrlich finden. daß man so mühelos dahingleitet, daß die Wellen am Bug sich spalten und zornig an den Wandungen heraufsteigen, daß das Bootchen unter den Herzschlägen des Motors leise zittert, daß die Wanderer von der Straße her mit fliegenden Tüchlein winken, daß der Himmel blau ist und daß die Bäume blühen und die Wiesen grünen und daß der Wormeldinger so süffig ist, daß man nicht mehr weiß, ob der Rausch vom Grächen oder der Grächen vom Rausch kommt - der junge Mann am Steuer guckt geschmeichelt in die Welt, als ob er sie so schön geschaffen hätte, grade wie weiland der andere, der sich in Schweiß „deien“ mußte, und er findet, daß es eine Lust zu leben ist ...
Ein Schifflein ziehet leiseDen Strom hin seine Gleise.