Kinderschändung! Kindermord von Bethlehem! Anders kann man das Verbrechen nicht nennen, das in den Nächten zum Samstag und Sonntag der Frost an der Blütenpracht unserer Gärten und Fluren begangen hat. Tückisch und zu nachtschlafener Zeit kommt er zurück über die Berge geschlichen, bricht in die Werkstätte des Frühlings ein und zerstört höhnisch dessen Werk. Die Natur mordet ihre eigenen Kinder. Und man ballt die Faust und schickt seinen Zorn ins All. Denn gegen irgend wen muß man seinen Zorn entladen. Und diesmal ist die Regierug wirklich nicht schuld an dem Unglück.
Früh morgens war es im Garten, wie in einem Hause, wo nachts ein Mord geschehen ist und die Opfer tot da liegen, während die Mörder das Weite gesucht haben. In dem diffusen Licht ohne Schatten, das grade vor Sonnenaufgang über den Dingen liegt, in der Totenstille dieser ersten Tagesstunden sieht die Zerstörung unheimlich aus. Die Kirschblüten hängen beschmutzt und schlaff, wie Fetzen von kostbaren Battisttüchlein nach einer Orgie, die Blütenbüschel der Birnbäume wie leere Handschuhe nach dem Ball. Der Verbrecher ist über alle Berge. Und wenn die Sonne kommt, beschaut sie schaudernd sein Werk
Man wird den Eindruck nicht los: Hier ist Kindheit, die verbrecherisch zugrunde gerichtet wurde. Der ganze kindlich reine Zauber des Blütenlebens, das Wunder des Werdens in der Zartheit des Unberührten, die Welt von Hoffnung, die darin lebendig war - und dann der brutale, teuslische Gestus des Vernichters, des Schänders!
Nur die Noßkastanien, deren Frucht zu nichts taugt, die sind gerettet. Sie ließen am Morgen zwar auch die Knospenträubchen ihrer Blüten hängen, aber heute stehen sie wieder aufrecht, und wenn die Kirschen und Birnen des Jahres längst am Boden verdorben sind, leuchten die Blütenkandelaber der unnützen Roßkastanien siegreich in der Sonne.
Ich denke an Osterspay, an Camp am Rhein an unser Trintingertal, wo es vor einer Woche in den weißen Kirschenwäldern von Bienengesumm wie von fernen Orgeln klang, und wo jetzt die großen Kirschenkirchhöfe liegen. Ein Mann sagte Sonntag früh traurig: Kinder, diese Nacht ist mehr Kirsch getrunken worden, als sonst in zwei ganzen Jahren. Und ein anderer, ein armer Tagelöhner, dem sein einziger Birnbaum im Garten erfroren war, sagte traurig: Es war so schön. Und jetzt ist alles beschmutzt! - Und die vielen schönen Birnen! sagte ich, - Ach Gott, an die denke ich nicht einmal. Aber die weißen Blüten, das war so schön, wie wenn die ganze Woche Sonntag wäre!
So geht’s. Die einen denken an den Kirsch, der verloren gegangen ist, die andern an ihre betrübte Sonntagsseele.