Original

20. April 1921

Von Zeit zu Zeit ertënt in Luxemburg der Schrei nach dem Krankenhaus.

Wir haben nichts so dringend nötig, wie ein ordentliches Krankenhaus und ein dito Altersversorgungsheim.

Im übrigen können wir uns neben den bestausgestatteten Großstädten sehen lassen. Wir haben Variété, wir haben eine Motorspritze, wir haben einen feenhaft beleuchteten Kirchturm, gegen dessen Glühperlenschnüre die wunderbarste Maggi-Reklame verblaßt, wir haben an jeder Straßenecke eine Bank und ein Dancing, wir haben eine Wallisstraße, wir haben den Rekord in Staub und Dreck, wir haben eine Badeanstalt, die einzig in ihrer Art ist, indem darin nicht gebadet werden kann, wir haben ein Museum, das sich versteckt, und eine Klinik, die sich vordrängt, alles haben wir, nur kein Krankenhaus.

Von Zeit zu Zeit schwellen die Stadtratsdebatten blasenartig auf vor Entrüstung darüber, daß wir kein Krankenhaus haben. Ein Schrei der Empörung geht durch die Stadt. Ein Anlauf wird genommen, ein Architekt wird sogar mit der Ausarbeitung eines Planes betraut. Und hat er den Plan fix und fertig, dann schwillt die Blase wieder ab, die Krankenhausbegeisterung schläft ein. Bis wieder einmal einer in die Posaune stößt: Krankenhaus, Krankenhaus!

Am Samstag war es Herr Dr. Wehenkel, der in die Posaune stieß. Er sprach davon, daß es eine Schande sei, wie in der Haupt- und Residenzstadt Luxemburg die Kranken und die Greise nicht wissen, wo sie anständig unterkommen können. Frau Thomas sprach von der Gichthöhle, die sie das Pfaffentaler Bürgerhospiz nennen, Herr Dr. Fettes erzählte von unglaublichen Irrfahrten mit einem diphtheritiskranken Kind, das die Ärzte operieren wollten und mit dem sie nirgends unterkamen, bis sie endlich im Eicher Krankenhaus Aufnahme fanden.

In Eich nämlich haben sie ein Krankenhaus. Es ist eine Privatstiftung. In Luxemburg haben wir das Pescatore-Altersheim. Es ist eine Privatstiftung, man kann sogar sagen, daß es in seiner Ausführung das Werk eines einzigen Mannes, Tony Dutreur’, ist. In Dommeldingen haben wir das Institut Emil Metz. Es ist eine Privatstiftung.

In Luxemburg haben wir noch kein Krankenhaus, weil sich dafür noch kein Privatstifter gefunden hat.

Anstalten dieser Art werden unendlich schwer von Körperschaften geboren. Ein Mann müßte sich denn vor die Aufgabe spannen, ein Einzelner, der ganz von seiner Idee erfüllt wäre, den der Eifer für das Krankenhaus verzehrte, der daraus sein Lebenswerk machte. Er müßte der Arnold Struthan von Winkelried seiner Idee werden und ihr eine Gasse hauen durch die zähen Neihen der Gleichgültigen, der Feindseligen, der Intriganten, der anders Interessierten. Alles Große ist immer das Werk eines Einzigen. Eine Kugel trägt immer weiter und tiefer, als Schrot.

In unserm Stadtrat sind heute die Ärzte Trumpf. Früher war jeder dritte Mann darin ein Advokat. Heute sitzen im Stadtrat mehr Ärzte, als Advokaren. „Heute muß die Glocke werden!“ Wenn wir es jetzt nicht zu einem Krankenhaus bringen, müssen wir für das nächste Jahrhundert die Hoffnung aufgeben.

Ein Mann hat sich der Staubplage entgegengestemmt, wie der Knabe David dem Niesen Goliath, und er wurde ihrer Herr.

Ein Mann soll sich geloben, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis er der Stadt zu einem anständigen Krankenhaus verholfen hat.

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    Katalognummer BW-AK-009-1891