„Ach ja,“ sagte er, „das ist doch ein ganz anderes Leben. Wie z. B. unsere Künstlertonzerte. Da geht man in irgend ein Lokal, wo Künstlerkonzert angeschrieben steht, setzt sich gemütlich zu einem Glas Pilsener und schleckert grutis die herrlichste Musik. Wahre Künstler, sage ich Ihnen, keine Zigeuner, die nur so tun, alles prima Solokräfte. Na ja, das können Sie ja hier in der Kleinstadt nicht haben.“
„O nein, selbstverständlich nicht!“ sagte ich demütig und führte ihn ins Trocadero, wo grade OperettenAbend war. Ich wollte mich an seiner Verblüffung weiden.
„Nettes Lokal,“ sagte er. „Mal was anderes.“
Grade kam „Orpheus in der Unterwelt“ von Offenbach.
Er hielt im Reden inne und spitzte die Ohren. Dann sah er mich groß an und spitzte die Lippen. Dann setzte er sich in seinem Sessel zurecht, blies leise den Rauch seiner Zigarre an die Decke und ließ sein Haupt vom Takt der Musik unmerklich hin- und herbewegen.
Die kleine Künstlerschar auf dem Podium spielte, als käme das ganze Klingen aus einem einzigen virtuos gespielten Instrument. Die Saiten sangen weich und lockend, übermütig tollend, ausgelassen, sentimental, mit federnder Prägnanz, mit einer Sauberkeit, die physisch wohltat, mit einer rührenden Achtung vor dem Werk des Meisters, keine Nüance, kein Nötchen unterschlagend.“
Er saß da und „kam sich es nicht zu“. Er - das ist der Fremde, der uns unterschätzt, der Großstadtprotz, der dem Provinzler mit den unbegrenzten Möglichkeiten einer Metropole imponieren will, als hätte er selbst sie geschaffen, der in jeder kleineren Stadt nur die Inferiorität, nicht das Aufstrebende sieht. Er - das ist aber auch der Luxemburger, der über seine eigene Stadt und alles, was sie ihm bieten will, die Nase rümpft, immer alles in Paris und Brüssel schon besser gesehen hat. Nun gut, ich wette mit ihm für die Neue Brücke gegen eine alte Oktroibude, daß er - Er - weder in Paris noch in Brüssel, weder in Berlin noch in Wien Gelegenheit findet, unentgeltlich ein vorzüglicher zusammengesetztes, aus wirklichen Solokräften bestehendes, wundervoll aufeinander eingespieltes Miniaturorchester zu hören, dazu in guter Gesellschaft seinen Kaffee, sein Bier oder wozu er sonst Lust hat, zu trinken und ein paar Stunden gehobenen Genusses zu verbringen, wie zu Luxemburg im Trocadero.
Er gab es zu. Er war begeistert. Er hüpfte in jedem Muskel mit. Er hatte „es nicht für möglich gehalten“.
Als wir dann nach Konzertschluß fortgingen, hörte er aus dem Untergeschoß Tanzmusik und sah einen niedlichen Groom unter einem grell beleuchteten Plakat stehen, das am Abstieg zu besagtem Untergeschoß hing und auf dem der klang- und bedeutungvolle Name „Tabarin“ prangte.
„Was! Sogar einen Tabareng leistet Ihr Euch! Das müssen wir befingern! Also los!“
Ich schützte Müdigkeit vor und überließ ihm allein das Befingern.
Andern Tags traf ich ihn wieder und frug ihn nach seinen Erlebnissen.
„Junge Junge!“ sagte er und schnalzte dazu mit Zunge und Fingern.
Viel mehr Details bekam ich aus ihm nicht heraus. Aber er sollte schon gestern wieder nach Saarbrücken fahren, und ich höre, daß er sein Zimmer im Hotel noch voraussichtlich für eine Woche zurückbehalten hat.
„Er“ wird nicht mehr sagen, daß in Luxemburg nichts los sei.