Original

22. April 1921

„Ich bin der Alex Weicker, ich bin da, ob Sie mich haben wollen oder nicht, Sie versuchen am besten nicht, mich hinauszuwerfen, denn ich bin vermutlich stärker. Ich habe einen blinden Bruder, der noch stärker ist. Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“

Dabei streckte er mir eine etwas überlebensgroße Hand hin und sah aus, als ob er mich damit auf dem Fleck zu erdrosseln imstand wäre, wenn ich meine Rechte nicht ohne Zögern vertrauensvoll hinein legte.

Als ich es getan hatte, wurde er gemütlicher.

„Also wieviel Minuten wollen Sie mir von Ihrer kostbaren Zeit schenken? Schenken ist gut, nicht? Zehn Minuten, denke ich, werden genügen, wenn ich zur Sache komme. Aber ich komme nie zur Sache. Das ist meine Stärke. Je weniger man zur Sache kommt, desto intensiver ist man dabei. Sie werden mir recht geben, wenn Sie mich einmal näher kennen. Ich kenne Sie schon lang. Erwarten Sie von mir keine Komplimente. Komplimente machen heißt, die Leute mit dem Geld bezahlen, das man ihnen selbst aus der Tasche gestohlen hat. Merken Sie was? Also ich habe ein Buch geschrieben. Der Georg Müller Verlag in München war dumm genug, es mir sofort abzunehmen. Nach dem Pech, das ich hatte, geboren zu werden, ist dies der erste Glücksfall in meinem Leben. Und sie wollen sofort damit herauskommen. Sie wissen, was das heißt. Unsere Größten sind mit ihren Manuskripten bei deutschen Verlegern reihum vergeblich hausieren gegangen, und ich trete beim ersten Schritt in den Fettnapf. Bitte, lassen Sie mich ausreden. Mein Buch heißt: Fetzen aus der abenteuerlichen Chronika eines Überflüssigen. Es ist ein Roman, wenn Sie wollen. Wollen Sie nicht, auch gut. Als sie bei Müller den ersten Satz gelesen hatten: „Mein erstes Publikum war ein Blinder; er sagte: So hatte ich die Welt noch nie gesehen“ - da schlugen sie eine Seite in der Mitte auf und lasen: „Armida, heute möchte ich nicht Jappes sein!“, was ihnen so außergewöhnlich vorkam, daß sie noch einige weitere Stichproben machten und schließlich das ganze Manuskript gelesen hatten. Glauben Sie, daß ich berühmt werde? Mir ist es furchtbar wurscht. Ich glaube, Sie hätten mich lieber draußen, ich gehe ja schon. Sie haben hier eine infame Makulaturbude, räumen Sie einmal gefälligst ein bißchen auf. Sie sind ja sonst so aufgeräumt. Also grüß Gott. Wenn Sie mir schreiben wollen, vielleicht bin ich nächstens in Berchtesgaden. Wenn Sie mein Buch bekommen, schreiben Sie bitte nichts darüber, bis Sie es gelesen haben. Und wie geht es Ihnen sonst? Waren Sie lange nicht in München?“

Er hatte merkwürdige Augen. Sie sahen aus, als hätte er sie irgendwo geliehen, als gehörten sie nicht zu ihm. So merkwürdig unbeteiligt sahen sie aus. Wie um Entschuldigung bittend für das Phosphoreszierende in seinem Gehabe. Ihren Ausdruck nur aus der Hautmuskulatur rundherum empfangend. Der Mund war ein Kapitel für sich. Gleich groß im Geben wie im Empfangen. Ein guter Kerl - ein Kerl, wie Samt und Seide. Niemand geht an diesem Gesicht vorbei, ohne daß ein Fragezeichen aufspringt, ohne daß er sich nach ihm umdreht. Als er ging, war es nicht ohne Interesse, zu sehen, wie er sein Lockengetümmel unter den Hut brachte.

Jetzt hat er mir aus Berchtesgaden seine „Fetzen“ zugeschickt. Es ist das merkwürdigste Buch, das je einer unseres Stammes geschrieben hat. Es gehört nicht zu den Büchern, von denen der Kritiker lobpreisend sagt, er habe sie in einem Zug zu Ende gelesen. Gott sei Dank! Haben Sie schon einmal eine Weinprobe mitgemacht? So wie die sich von einem ruhigen Dämmerschoppen unterscheidet, so unterscheidet sich das seltsame Buch von andern Büchern. Jeden Moment fliegt ein anderer Pfropfen.

Doch ich will nicht vorgreifen. Die „Fetzen“ werden Aussehen machen. Sie sind ein psychologisch denkwürdiges Beispiel dafür, wie großstädtische Kulturbakterien auf einen starken Rohstoff unserer Art wirken und was ein originelles Talent mit dem Einschlag unserer Eigenart aus Großstadtrohstoffen machen kann.

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    Katalognummer BW-AK-009-1893