Original

24. April 1921

Die Presse von rechts und die Presse von links hat sich in diesen Tagen über das Luxemburger Stadttheater geäußert und gesagt, wie es ist und wie es sein müßte.

Sie hat recht wackere Anschauungen zum Ausdruck gebracht, von der Schaubühne als moralischen Anstalt frei nach Schiller gesprochen und gefordert, daß das Luxemburger Stadttheater nicht nur ein richtiges Bild der modernen französischen Dramatik, gebe, sondern auch deutsche Theateraufführungen erster Klasse biete und außerdem als Vermittler für die nordische und die englische Literatur wirke.

Man scheint also von der Meinung auszugehen, daß die Theaterkommission vor eine reiche Wahl zwischen den verschiedenartigsten Stücken gestellt ist und außerdem über ungezählte Gelder verfügt.

Beides trifft leider nicht zu.

Das Theaterbüdget der Haupt- und Residenzstadt Luxemburg beträgt im Maximum 26 000 Franken. Auf belgische und französische Währung umgerechnet kommt noch erheblich weniger heraus.

Da, um den Anforderungen des Publikums zu genügen, jedes Stück zweimal gegeben werden muß, erhöhen sich die Kosten so unverhältnismäßig, daß die 26 000 Franken in Zuschüssen zu den einzelnen Aufführungen schon kurz nach dem Höhepunkt der Saison erschöpft sind und Schluß gemacht werden muß.

Der Streit darüber, ob die Auswahl der Stücke richtig getroffen wurde oder nicht, ist ziemlich müßig. Erstens steht der Kommission die Wahl nicht frei, zweitens sind im Publikum die Urteile sehr verschieden, und drittens sind die Pariser Impresarii, die die Stücke und Besetzung auswählen, am meisten dabei interessiert, daß sie den Geschmack des zahlenden Publikums treffen.

Freilich hat das Theater nicht nur die Aufgabe, den Geschmack des Publikums zu treffen, es soll auch höheren Ansprüchen genügen und damit helfen, den Geschmack emporbilden. Ob unser Theater diesem Teil seiner Aufgabe zu 100, 75 oder 50% gerecht wurde, darüber gehen wiederum die Urteile auseinander. Es heißt, schematisch ausgedrückt, wir hätten zu wenig Beaulieu und zuviel Baret gehabt. Man vergißt, daß bei diesen Gastspielunternehmungen die Organisation eine Hauptsache ist. Der anerkannt beste Organisator französischer Wandertruppen ist Baret. Er durfte schon vor Jahren ein Buch schreiben, das den Titel führt: Propos d’un homme qui a bien tourné. Er weiß am sichersten Bescheid über die landläufigen Theaterbedürfnisse, über die Zugkraft der neuen und alten Stücke, über die grade verfügbaren Theaterkräfte. Er hat schon jetzt seine Organisation für die nächste Spielzeit fertig. Was soll man dagegen mit Angeboten anfangen, die nicht Preis noch Datum, kaum den Titel des Stückes nennen und allzu oft am Tag nach dem Markt kommen?

Ich begreife, daß die Besucher des Luxemburger Stadttheaters schon lange das Empfinden haben, es sei allerlei zu bessern, wir stecken tief. in kleinstädtischem Rückstand usw.

Das hängt aber jedenfalls nur teilweise mit der Wahl der Stücke und der Güte der schauspielerischen Leistungen zusammen. Sondern es liegt auch daran, daß unsere Bühneneinrichtung technisch derart vernachlässigt ist, daß auf den großen Faktor Stimmung gar keine Rücksicht genommen werden kann. Vor allen Dingen täte eine einigermaßen moderne Beleuchtungseinrichtung mit dem allgemein üblichen Verdunklungsapparat (jeu d’orgue), mit starken Glühlampen und Abblendungsgläsern für Spielflächenbeleuchtung usw. not. Erst dann kann an die Herstellung von einigermaßen stimmungsvollen Bühnenbildern gedacht werden, die nicht mehr den Eindruck aufkommen lassen, daß oft Künstler dramatische Meisterwerke in einer notdürftig hergerichteten Kunstscheune darstellen.

Aus diesem Grund gehören in die Theaterkommission vor allen Dingen Leute, die in bezug auf Beleuchtung, Architektur, Dekorationen über solche Fachkenntnisse verfügen, daß sie den allernötigsten Fortschritt anbahnen könnten.

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    Katalognummer BW-AK-009-1895