Hochwürdigster Herr! Gestatten Sie, daß ich in das Inbelgetön, in dem Sie heute schwimmen, eine Minute lang meine schwache Stimme hineinfließen lasse.
Da in einem lauten Orchester derjenige am meisten Aussicht hat, gehört zu werden, der falsch bläst, werde ich meinen Part also falch blasen. Wobei ich, wie jeder, der falsch bläst, überzeugt bin, daß ich richtig blase. Eine falsche Note gibt es, wie Sie wissen, überhaupt nicht, sie klingt nur falsch im Verhältnis zu andern. Also behaupte ich, ich blase richtig und die andern blasen falsch.
Kürzlich warf in der Kammer die drohende Schuldebatte ihre Schatten voraus. Wir waren hier der Ansicht, wir sollten den Gewaltstreich stillschweigend vorübergehen lassen, und einzelne vernünftigere Elemente der klerikalen Partei schienen ebenfalls nicht übel Lust zu haben, die Sache ohne Sang und Klang abzutun.
Das paßt den Radanbrüdern Ihres Leib-Organnicht in den Schlachtplan. Sie wollen wieder einen f f s-Kampf, wie unter Ihrem Vorgänger mit der Friedenstaube im Wappen. Sie ziehen gleich die dicksten Register und leisten sich die gröbsten persönlichen Anrempelungen. Sie wissen, dazu braucht es nicht viel Grütze, das Publikum spitzt die Ohren, und da Sie, hochwürdigster Herr, das Interdikt gegen die Linkspresse noch nicht aufgehoben haben, wissen die Herren, daß sie nach Belieben dick auftragen können, weil keine Widerlegung in die Kreise ihrer Leser dringt.
Dieser Tage stand’ im „Luxemburger Wort“ ein Artikel: „Pädagogik und Familie Brasseur.“ Darin wird Herr Robert Brasseur wegen seiner Haltung in der Schulgesetzfrage angegriffen. Er steht mitten in der Politik, an exponierter Stelle und nimmt es keinem Gegner übel, wenn er ihn mit anständigen Waffen bekämpft.
Aber die Leichenfledderer Ihrer Presse, hochwürdigster Herr, haben von jeher ihre unsaubern Finger nicht von den Toten lassen können. Und so ziehen sie auch diesmal ausgerechnet den vor 15 Jahren verstorbenen Vater des Herrn Robert Brasseur in die Debatte. Sie witzeln wie nachstehend: „„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm,““ sagt das Sprichwort, oder: „„Wie der Vater, so der Sohn.““ „Das religiöse Erziehungsgebiet, das der Vater pflegte und in das er - doch sicherlich - schon bei Zeiten den Sohn einführte,“ usw. usw. Und zum Schluß: „Will der Sohn vielleicht noch über den Vater hinaus?“
Dieser Ungezogenheit Ihrer Haus-Presse, hochwürdigster Herr, möchte ich kurz gegenüber stellen, was dasselbe „Luxemburger Wort“ am 19. November 1906 über denselben Herrn Brasseur Vater, zwei Tage nach seinem Tode, schrieb:
„Am Samstag nachmittag starb, versehen mit „den hl. Sterbesakramenten, im Alter von 73 „Jahren. Herr Alexis Brasseur. Mit ihm ver„schwindet eine der markantesten Persönlichkeiten „des politischen Lebens in unserm Lande. ...
„An der Bahre des Verstorbenen lassen wir „die Vergangenheit ruhen. Wir zollen „Herrn A. Brasseur gerne den Tribut der Hoch„achtung, den eine scharf ausgeprägte Über„zeugung, ein großes Talent und eine unermüd„liche Schaffensfreudigkeit auch dem politischen „Gegner abnötigen. Als Advokat-Anwalt hat „Herr A. Brasseur sich den Ruf eines der tüchtig„sten Männer zu verschaffen gewußt, welche an „unserm Barreau aufgetreten sind.“
Heute kann sich das „Luxemburger Wort“ nicht verkneifen, die Vergangenheit, die es damals wollte ruhen lassen, wieder aufzurühren.
Nachdem Herr Brasseur Vater im Schoß der katholischen Kirche gestorben ist, muß die Redaktion des „Luxemburger Wort“ annehmen, daß ihm der liebe Herrgott keine seiner früheren Schulgesetzreden mehr nachträgt. Sie könnten also auch Schwamm drüber machen. Wenn ein Großer sich mit einem Feind ausgesöhnt hat und ihn zu Tisch lädt, dürfen die Lakaien den Gast nicht anspucken.
Pfeifen Sie also die Meute zurück, hochwürdigster Herr.
Und da Sie zufällig heute den Cardinal Mercier nebst andern Co-Prälaten zu Tisch haben, so bitten Sie ihn, Ihnen dabei behilflich zu sein. Er hat kürzlich in einem Zirkular an die Geistlichkeit betont, daß diese sich dem Bischof unterzuordnen hat. Er sagt in demselben Zirkular, es liege ihm sehr am Herzen, der Jugend den Unterricht zu verschaffen, den sie braucht, aber er dürfe nicht zulassen, daß sich die Politik in das Gebiet der Kirche hineindränge. Er ist also wahrscheinlich auch dafür, daß sich die Kirche nicht in die Politik hineindrängt.
Also pfeifen Sie, wie gesagt, die Meute zurück, hochwürdigster Herr, solange es noch Zeit ist.
Ich verspreche Ihnen, daß wir Ihnen zum Dank jederzeit gegen Herrn Pfarrer Pletschette beistehen werden.