Original

3. Mai 1921

Ich habe an mir eine Entdeckung gemacht. Es soll mich keine falsche Scham abhalten, hier davon zu reden.

Ich habe nämlich entdeckt, daß ich nicht schadenfroh bin. Das ist immerhin etwas.

Es kam mir folgendermaßen zum Bewußtsein. Ich wanderte von Wasserbillig sauerauf nach Resport. Mit mir zog ein Obst- und Naturfreund, und wir stellten fest, daß dort herum noch lange nicht alle Blüten erfroren sind. Ich erzählte elegisch von meinen Apfelbäumen, die trotz der braun gefrorenen Fruchtknötchen lustig weiter ihre rosa-weiße Blütenpracht entfalten, daß es ist, wie wenn in einem Sterbehaus Hochzeit gehalten wird. Lustige Witwe! Sogar die Bienen gehen auf den Leim. Noch eben sah ich eine herumtorkeln und kopfüber in einen Blütenleich verschwinden, in dem der Herr des Hauses sozusagen auf der Bahre lag. Es dauerte eine Weile, bis sie den Irrtum merkte. Und sie war nicht allein. Der ausgestorbene Baum in seiner vergebenen Brautpracht klang leise von dem Orgelton des Gesumms.

Daran dachte ich, als mein Begleiter eine Blüte abpickte und feststellte, daß sie kerngesund war. Die wahre Pracht fing gleich hinter Born an. Wie durch einen weiß-rosa leuchtenden Tunnel von Apfelblüten führte der Weg. Vor mir trippelten ein paar weißgekleidete Kommunionsmädelchen, die von der Prozession heimgingen. Und weit in die Äcker und Wiesen hinunter bis an die glitzernde Sauer und links die grünende Anhöhe hinan stand ein leuchtender Wipfel am andern. Alle, die man lieb hat, wünschte man heran, damit alle mit einem den Augenblick jauchzend genießen könnten.

Und da war es. Da stellte ich zufrieden und einigermaßen geschmeichelt fest, daß meine Freude eine lautere, reine Freude war, daß das Trübe des Neides und der Mißgunst nicht mit dem leisesten Schleier darin schwamm, daß ich trotz meiner Blütentrauer den Blütenjubel der andern aufrichtig und freudigen Herzens mitmachte.

Ich dachte an den Herbst. An die leise Wonne der Erfüllung. Wenn sie in der gütigen Sonne der September -und Oktobertage die Straßen entlang den Äpfelsegen einheimsen. Leitern an den Bäumen, Körbe am Boden, die roten, gelben, grünen Bälle im Rasen verstreut oder mit kribbliger Fläche aus den Körben schimmernd, und im Hintergrund die bunten Wälder, der blinkende Fluß, die malerischen Dörfer - dann wird es wieder ein Glück sein, die Straße dahin zu ziehen und an den schönen Blütensonntag des ersten Mai zurückzudenken.

In Rosport bei Willems schmeckt ein Glas Äpfelwein nach drei Stunden Vormittagswanderung besser, als das beste Glas Champagner nach einem kopiösen Diner. Diesem braungoldnen Trank sollte man den Schimpf nicht antun, ihn verächtlich Viez zu nennen, das ist Apfelwein - Appelwoi. Er hat vom Wein das Anregende und vom Apfel das Bekömmliche. Der Apfel ist ein Er und verwirrt einem Kopf und Herz nicht so, wie die Traube, die süß heimtückische Sie.

Und noch eine Freude habe ich erlebt. Auf dem ganzen Weg das herrliche Sauertal entlang ist mir nicht ein einziges Automobil begegnet. Doch, ein Sidecar mit einem Hünen als Chauffeur. Er rief mir einen Gruß zu und es sah aus, als hätte sich der Riese Goliath auf den kleinen David gesetzt. Sonst war es den ganzen Weg andächtig, wie in einer Kirche.

TAGS
    Katalognummer BW-AK-009-1902