Original

5. Mai 1921

Die Sauer und Mosel hinauf und hinunter warten die Fischzüchter mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie wieder in Tätigkeit treten dürfen. Seit März stehen sie - man könnte es so ausdrücken - am Ufer und sehen ihr Pachtgeld den Fluß hinuntertreiben, unwiederbringlich, und sie dürfen weder Hand noch Fuß rühren, um es zu länden. Dafür sagt ihnen der Staat von hüben und drüben: Geduld, Kinder, Euer Geld wächst Euch unter den Händen. Dank meiner väterlichen Fürforge vermehren sich in diesen Monaten die Fische, die ihr später fangen dürft, ins Ungezählte. Ich sorge dafür, daß Makrelen und Barben, Barsche und Brassen, Hechte und Aale, Mönen und Rotaugen, Schleien und Karpfen ihre Hochzeit und Taufe ungestört feiern dürfen. Erst wenn das große Fest der Vermehrung vorüber ist, ziehe ich die Schlagbäume wieder hoch und jeder, der mir seinen Tribut bezahlt hat, darf unbehelligt seinem Erwerb oder seinem Vergnügen am Wasser nachgehen.

Es ist sehr nett vom Staat, daß er den Fischpächtern diese Rede hält, und es wäre noch viel netter von ihm, hüben und drüben, wenn er auch demgemäß handelte.

Aber das tut er leider nicht.

Er hat mit einer ganzen Reihe von Fischpächtern zu tun. Alle müssen während der gesetzlichen Schonzeit in der oben beschriebenen Haltung untätig und sehnsüchtig ihrem Verdienst und ihrem Vergnügen nachsehen, die ihnen das Wasser hinunterschwimmen wie dem Gerber die Felle.

Nur einem von allen ist es erlaubt, während der Laichzeit fischend seinem Verdienst - vielleicht auch seinem Vergnügen - nachzugehen, unter dem grotesken Vorwand der Fischzucht.

Ein Herr B. nämlich hat in Minden eine Fischzüchterei. Man züchtet bekanntlich Fische künstlich, indem man dem laichenden Fisch die Eier abstreicht und sie mit dem Samen in Brutbehältern bebrüten läßt. Herr B. hat nun unter dem Vorwand, den Laich für feine Anstalt gewinnen zu müssen, von dem Herrn Regierungspräsidenten in Trier die Erlaubnis erhalten, sich in der Sauer die nötigen Makrelen und Barben zu fangen, um sie abzustreichen.

Diese Erlaubnis nutzt Herr B., wie die andern Fischpächter an der Sauer festgestellt haben, in der Wene aus, daß er seine Strecke bei Tag und zumal bei Nacht ausgiebig befischen läßt und ganze Bottiche von Fischen erbeutet. Die Nacht wird gewählt, weil die Matrelen und Barben die Eigentümlichkeit besitzen, daß sie nachts leuchten und deshalb von den andern Fischen, die Herr B. nicht fangen darf, deutlich zu unterscheiden sind. Es soll trotzdem vorkommen, daß den Fischern des Herrn B. auch andere Sorten ins Netz gehen. Über die Verwendung dieser Fische sowie der Makrelen und Barben, wenn sie ihren Laich abgegeben haben, erkundigt man sich am besten bei einer Anzahl von Einwohnern aus Minden, mit deren Beurteilung seiner Tätigkeit als Fischzüchter Herr B. immer noch nicht einverstanden ist.

Spaß beiseite: Bei den horrenden Preisen, die auf der letzten Versteigerung der Fischereien in Mosel und Sauer erzielt wurden, und die von Jahr zu Jahr weniger lohnend für die Pächter werden, muß es auf diese wirklich empörend wirken, wenn sie sehen, daß auf diese Weise mit dem Worte Fischzucht Mißbrauch getrieben wird. Sie dürfen verlangen, daß die Behörde in Preußen wie in Luxemburg ein bißchen näher zusieht, in welchem Umfang dieser Herr B. seine Erlaubnis ausnutzt. Nötigenfalls werden sie sich alle ein paar Bruttröge aufstellen und während der Laichzeit dieselbe Erlaubnis beanspruchen, wie Herr B. Und dann darf man sicher sein, daß vor lauter Fischzucht in unsern Flüssen bald derart aufgeräumt sein wird, daß unsere Söhne und Enkel Barben und Hechte, Makrelen und Barsche und alle andern nur noch aus Brehms Tierleben oder aus Victor Ferrants Fauna kennen werden.

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    Katalognummer BW-AK-009-1904