Original

7. Mai 1921

Ein junger Ouistiti, der kürzlich von einem Luxemburger aus Brasilien mitgebracht wurde, schreibt an seine Mutter:

Frau Hapale Jaccha, Ouistitiville. Castanheirastraße, 17, Brasilien, Urwald.

Liebste Murrer! Ich schrieb Dir kürzlich, wie es mir ergangen ist, seit sie mich daheim im Urwald gefangen und nach Rio gebracht hatten. Wir hatten eine gute Überfahrt, die Menschen auf dem Schiff waren gut zu mir, aber es fiel mir schwer, mich an ihre Verrücktheiten zu gewöhnen. Wenn z. B. einer von ihnen allein nicht laut genug lärmen konnte, setzten sie sich zu einem Dutzend zusammen und bliesen in allerhand Röhren, und einer stellte sich vor sie hin und wollte sie mit einem Stöckchen auf den Kopf schlagen, wenn sie nicht laut genug bliesen.

Jetzt bin ich nach langen Reisen dahin gelangt, wo die Welt mit Draht zugeflochten ist. Es heißt Luxemburg. Manchmal kann ich aus der Drahtecke heraus und sehe durch ein Stück harte Luft, durch die man hindurch sehen, aber nicht laufen kann, grüne Bäume und Sträucher. Sie sind viel hellgrüner, als zuhaus, aber es sind im Ganzen nur ein paar.

Die Menschen kommen mir immer komischer vor. Zumal mit ihrem ewigen Getöne. Ich habe gehört, sie behaupten, daß sie von uns Affen abstammen. Das könnte ihnen passen. Wenn es wirklich der Fall ist, so sind sie seither ganz gehörig degeneriert. Sie sind heute schon so weit, daß sie nur noch auf zwei Beinen gehen können. Wollen sie auf einen Baum klettern, so müssen sie eine Leiter haben, und in ihren Häusern haben sie Treppen eingebaut zum Hinaufund Heruntersteigen. Um sich nach Er und Sie auseinanderzukennen, müssen sie verschiedene Kleider anziehen. Die Männer sind am drolligsten. Sie stecken die Beine in ein Doppelfutteral, sodaß sie sich beim Gehen bis an den Leib spalten, wie es natürlich ist. Die Frauen haben Röcke an, die je nach Alter und Geschmack bis an, unter oder über die Kniee reichen. Noch eine dritte Sorte gibt es, die schwarze Röcke bis auf den Boden herunter trägt. Was die sind, weiß ich nicht, aber ich sehe, daß sie mit am meisten zu sagen haben.

Sobald ich etwas mehr eingelebt bin, werde ich mich mit den politischen Zuständen des Landes vertraut machen. Ich hoffe, Dir dann viel Interessantes mitteilen zu können, woran Ihr zuhause seht, wie Ihr es nicht machen sollt, um in Frieden zu leben.

Es geht mir soweit gut, unberufen. Ich gebe mir viel Mühe, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, zu erziehen, allerdings ohne sonderlichen Erfolg. Sie können immer das sogenannte Sprechen nicht lassen, zumal die mit den Röcken. Sie sind mir am liebsten, wenn sie klein sind. Die mit den Beinfutteralen reden nicht soviel, aber ich traue ihnen nicht über den Weg.

In dem Raum, wo ich lebe, ist noch ein anderes Tier. Es hängt an der Wand und hat einen Schwanz, der unten in eine Art Scheibe ausläuft. Diesen Schwanz schwingt es beständig hin und her, und es gibt jedesmal ein Geräusch, als ob er im Gelenk knackte. Von Zet zu Zeit bellt das drollige Tier von der Wand herunter, und zwar immer öfter, je näher es an die Essenszeit herangeht. Wenn es zwölfmal bellt, sehe ich die Menschen im Hause und draußen vor Hunger aufgeregt herumlaufen. Manchmal schimpft der Mann, wenn das Essen noch nicht fertig ist, manchmal die Frau, wenn der Mann nicht heimgeht und alles kalt wird. Wenn ich wieder nach Brasilien komme, bringe ich Lössel, Messer und Gabel mit und zeige Euch, wie man ißt, wenn man ein Mensch ist. Es gibt Nüancen, die man nicht herausbekommt, wenn man nicht drei Monate in England war.

Jetzt muß ich schließen, liebste Mutter, es kommt Besuch. Auf baldiges Wiedersehen in Ouistitiville

Dein treuer Sohn Fips.

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    Katalognummer BW-AK-009-1905