Original

8. Mai 1921

Als der Kommandant der „Möwe“ 1916 mit seinem Schiff in den internationalen Gewässern herumfuhr und zur größeren Ehre S. M. englische, französische, amerikanische usw. Schiffe versenkte, ließ er sich nicht träumen, daß er seinem Vaterland damit mehr Schaden zufügte, als Vorteil verschaffte. Und als er seine und seiner Mannschaft Heldentaten von einem oder mehreren Kino-Operateuren drehen ließ, dachte er wahrscheinlich auch nicht, daß seine Ruhmesfilme dereinst in den Ententeländern laufen und beweisen helfen würden, wie recht die Alliierten haben, wenn sie in ihren Schadenersatzansprüchen gegen Deutschland größere Strenge an den Tag legen, als sie es vielleicht einem andern Gegner gegenüber getan hätten.

Jeder menschlich Fühlende empfindet Mitleid mit dem deutschen Volk, das unter den Folgen des verlorenen Krieges leidet. Mit dem Teil des deutschen Volkes, der den Krieg und seine Gransamkeiten nicht mit verschuldet, der weder aus dem Krieg noch aus der Niederlage Nutzen gezogen hat und der heute die Sünden derer büßt, die damals den Krieg als ein Heiliges, Notwendiges, Segensreiches ausriesen und die Parole ausgaben: Nur recht grausam, damit es umso rascher zu Ende geht!

Die Heldentaten der „Möwe“ sind, wie gesagt, anscheinend von marineamtswegen gefilmt worden und werden heute mit dem Schlußwort: N’oubliez jamais! dem französischen Volk gezeigt. Zu Tausenden und Abertausenden sitzen die Massen davor, sehen das vergnügte Leben an Bord des deutschen Schiffes, sehen die wehrlosen Kauffahrer der Alliierten unter den Kanonen der „Möwe“ halten, deren gefangene Bemannung in Booten heranfahren, sehen einen dieser Kolosse nach dem andern, wie ein Torpedo ihm die Flanke aufreißt und wie er majestätisch in die Flut taucht, wie in zehn Minuten Millionen und Millionen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, ohne daß ein Mensch davon einen Nutzen hat, Sehen, wie der Kommandant bei seiner Heimkehr beglückwünscht und angehocht wird und machen sich ihre Gedanken darüber, daß von den Stellen aus, die damals die Vernichtungstaktik bis zum Aeußersten steigerten, heute an das Menschlichkeitsgefühl der zivilisierten Welt appelliert wird, weil die damals Geschädigten fest zupacken.

In einem Artikel des Wolffbüro über den Tauchbootkrieg vom 17. März 1917 las ich eben zufällig folgende Stelle: „Die Erwartungen der Marine wären schon erfüllt worden, wenn rund 525 000 Tonnen versenkt worden wären. Statt dessen beläuft sich die Zahl auf 781 000 Tonnen. Das Mehr von 256 000 Tonnen bedeutet also, daß die Erwartungen um nahezu 50 Prozent übertroffen worden sind. Stellt man die Februar-Ausbeute von 781 000 Tonnen dem englischen Seeverkehr gegenüber usw.“

Da wird also von der sinnlosen Vernichtung von Werten in denselben Ausdrücken gesprochen, in denen die Wirtschaft von der Schaffung von Gütern zu sprechen pflegt. Freilich, die Schwächung des Gegners durch Zerstörung seiner Schiffe war die schlagendste Entgegnung auf die Verhängung der Hungerblockade. Aber, um auf die „Möwe“ zurückzukommen (der Film läuft dieser Tage bei Medinger) so ist das Auffallende dabei, zumal für uns friedliche Neutralen, die heitere Grausamkeit, mit der sich die Vernichtung vollzog. Und der erste Gedanke ist: Auch die Grausamkeit sollte konsequent sein und, wenn der Spieß umgedreht wird, nicht so laut von Menschlichkeit u. Gerechtigkeit reden.

Der werteschaffende Teil des deuschen Volkes ist durch den Uebermut seiner siegessicheren Führer heute dahin gekommen, daß es sich die Haut vom Leibe schaffen muß. Dasselbe kann jedem Volke passieren, das in die Fehler verfällt, an denen Deutschland zerbrochen ist.

Bilder, wie sie der „Möwe“-Film enthält, verdienen immer und immer wieder gezeigt zu werden, als abschreckendes Beispiel aus der Zeit der Wahnsinnswelle, die mit dem letzten Krieg über die Welt ging.

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    Katalognummer BW-AK-009-1906