Original

10. Mai 1921

In jedem Dorf gibt es einen oder mehrere sogenannte „Spottmecher“.

Einer ist als Spottmecher rubriziert, wie z. B. ein anderer als Trinker oder als „Kartenrassler“, als guter Mäher oder als Spezialist für Blähungen bei Kühen.

Der Spottmecher kann von sich sagen, wie Wallenstein, daß sein Bild von der Parteien Haß und Gunst verzerrt in der Dorfgeschichte schwankt.

Er hat alle für sich, über die er sich noch nicht lustig gemacht, über die er noch keine Geschichte erzählt hat.

Es gibt den Spottmecher mit Humor, den mit Witz, den mit Sarkasmus, den mit Satire, den mit Boshaftigkeit.

Es gibt den, der vorwiegend sich selbst oder vorwiegend andere zum besten hat.

Er kann beliebt, gefürchtet, gehaßt, verachtet sein. Die Seelenchemie kennt die verschiedensten Reaktionen zwischen dem Spottmecher und seinen Mitdörflern.

Allgemeiner Beliebtheit erfreut sich der Spottmecher, der seine Spottsucht gegen sich selbst kehrt. Unvergeßlich bleibt mir ein Mann, namens Bendel der vor Jahren an einem Waldrand in der Nähe von Walferdingen sich eine Hütte gebaut hatte und von Zeit zu Zeit in einem Gasthaus des Dorfes sich einen Liter Schnaps holte. Er hatte in der Regel mehr Durst, als Geld. Eines Abends fand er die Haustüre verschlossen, aber noch Licht in der Gaststube. Er rief seine Bestellung hinein und sagte, er werde sofort die fällige Mark unter der Türe hineinschießen. Er ließ es eine Weile dauern, als ob er unter allerhand Geldstücken nach einer Mark suchte, und sagte dann: „Ach, wozu das lange Suchen, wohin ich greife, ist eine Mark!“

Ein anderer, der Dorfhirt, erzählte gern, wie er sich seine Frau seinerzeit auf dem Grauenknopp gefreit hatte. „Dort herum ist vorzügliches Land“ - sagte er - „und unsere Liß hatte viel davon.“

Solchen Spaßmachern hört jeder gern zu, weil er sich sicher fühlt.

Andere werden aggressiver, und denen steht die Dorfpsyche mißtrauisch gegenüber. Der Bauer empfindet seine Schwere solchen quicken Naturen gegenüber als Schwerfälligkeit. Die einen fürchten ihn dafür, die andern hassen oder verachten ihn. In ihrem täglichen Kampf gegen die Feindseligkeit, Trägheit, stumpfsinnige Heimtücke der Naturkräfte kann ihnen der beste Witz nichts helfen. Wenn dann einer sich über sie lustig macht, ist es ihnen, als fiele er ihnen in den Rücken. Und grade diejenigen, die für geistige Gewandtheit Verständnis und Wertschätzung haben, fürchten den Spottmacher. Sie fühlen seine Stiche und wissen, daß sie sie nicht vollgültig zurückgeben können.

Die andern, für die es eine Überlegenheit des Geistes nicht gibt, die nur von Überlegenheit der Muskelkraft und des Besitzes wissen, die verachten den Spottmacher. Für die ist er eine Art Bänkelsänger und Seiltänzer, der seine Witze macht, wie ein anderer Kopf steht oder wie ein Bär an der Kette tanzt. Man lacht mit, wenn es einen andern trifft und wenn man den Witz verstanden hat. Trifft es einen aber selbst, so haut man dem Spottmecher eine herunter, falls man stärker ist, als er. Ist man der Schwächere, so schneidet man ihm nachts ein paar Obstbäume ab.

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    Katalognummer BW-AK-009-1907