Ich stelle mit Vergnügen einen Fortschritt fest.
Wenn mir senst jemand einen verfrühten oder verspäteten Maikäfer oder Schmetterling schickte, hatte er ihn regelmäßig in eine Streichholzschachtel verpackt. Das war poesielos. Wenn man Maikäfer oder Zitronenfalter heißt, reist man nicht gerne in einer alten Streichholzschachtel, in der es chemisch riecht und die keinerlei romantischen Beigeschmack hat.
Der Fortschritt liegt darin, daß diesmal das Schmetterlingsphänomen in einer niedlichen duftenden Puderschachtel die Reise von Mersch nach Luxemburg gemacht hatte.
Schon bei der Entfernung der Papierhülle machte sich der suggestive Boudoirgeruch bemerkbar. Dann kam ein achteckiges Pappschächtelchen zum Vorschein, auf dessen Deckel ein Chinese in einer mehr oder weniger rätselhaften Umgebung, zu sehen war. Rund herum stand: Guerlain, Paris. 15 Rue de la Paix, 68 Champs Elysées. Chair-Chair.
Die Eröffnungsprozedur hatte als nächste Folge, daß ein leises Wölkchen jenes kostbaren Puders, dessen Farbe mit obigem Worte Chair bezeichnet war, unter dem halb geöffneten Deckel hervorwehte. Im Innern lag der Kopf eines abgeblühten Löwenzahn, und über die wunderfeinen weißen Sternchen, die an langem Stiel jedes die Mintaturspindel des Samenkörnchens trugen, torkelte ein kleiner, weißgrüner Gemüsefalter. Das alles war so fein, so leicht, so wunderzart, daß das nächste Stadium Luft sein mußte.
Ich setzte die offene Schachtel auf das Fensterbrett, auf das die Morgensonne blaß hereinschien. Sofort begann der Schmetterling bis in die Flügel hinein zu zittern. Und schon schwang er sich hinauf und wollte durch die Scheibe ins Freie. Immer mit dem Köpfchen am Glas flatterte er das Fenster hinauf und herunter, mit der Hartnäckigkeit, die einen Schmetterling beseelt, wenn er in die Sonne fliegen will. Da hielt ich ihm den Zeigefinger hin und sagte: „Komm, du dummes Tierchen, ich laß dich hinaus.“
Er verstand mich sofort, nahm auf dem dargereichten Finger Platz und wartete, bis ich das Fenster aufgezogen hatte. Als ich ihn dann hinaus ins Freie hielt, ließ er sich nicht lange nötigen und schwang sich auf, taumelte ein bißchen herum und ließ sich, untrainiert und müde, wie er offenbar von der Fahrt und der Gefangenschaft war, auf ein Rosenbeet nieder.
Ich nahm die Schachtel neuerdings in die Hand, drehte sie um und las auf dem Boden: Poudre Superdulci de Guerlain. Und in der Mitte den Eigennamen der Sorte, die die Schachtel enthalten hatte: Jicky.
Ich hätte nie geglaubt, daß Jicky ein adäquater Name für Toilettenpuder wäre. Und doch, da steht es schwarz auf weiß. Ich sage nichts mehr. Aber die Schachtel kann jeder bei mir einsehen.
Dies war nicht der erste, aber hoffentlich der letzte Schmetterling für dies Jahr. Auf einmal schicken sie mir an Allerheiligen eine neue Kartoffel als Kuriosum. Das darf Sie nicht beleidigen, mein gnädiges Fräulein. Wenn auch Ihr Schmetterling nicht mehr der erste des Jahres war, so danke ich Ihnen doch für Ihre liebenswürdigen Zeilen und für Ihre duftige Puderschachtel. Sie sehen, Sie haben mir damit aus der Patsche geholfen, denn ich wußte im Augenblick wirklich nicht, was ich schreiben sollte.